„Wir schaffen das“: Bundeskanzlerin
Angela Merkel hat 2015 angesichts der Herausforderung durch die rapide steigende Zahl von Geflüchteten aus dem Nahen Osten eine Aussage gemacht, die
Kontroversen auslöste. Doch was im Großen schwierig scheinen mag, kann im Einzelnen funktionieren – wenn alle an einem Strang ziehen. Das zeigt ein
Fall, den die Handwerkskammer Wiesbaden (HWK) jetzt publik gemacht hat: Ismail Habash kam
2015 mit vielen anderen aus Syrien nach Deutschland, hat eine Schwerbehinderung, ist Analphabet und hat trotz aller widriger Umstände jetzt eine feste
Arbeitsstelle in einem Fachbetrieb für Orthopädie in Dillenburg. „Ich denke, diese Konstellation ist zumindest in unserer Region einmalig“, sagt Manfred
Weber, stellvertretender Leiter der Geschäftsstelle Mittelhessen der Handwerkskammer Wiesbaden.
Die Geschichte nimmt – wie viele Fluchtgeschichten – ihren Anfang im syrischen Aleppo: 1988 geboren, litt Habash seit seinem ersten Lebensjahr an einer
schlecht behandelten Kinderlähmung, die zu einer schweren Behinderung seiner Beine führte. Als Jugendlicher lernte er dennoch mit Hilfe von Metallorthesen
und viel Willen das Laufen und fand schließlich einen Job bei einem ärztlichen Ambulatorium in seiner Heimatstadt – bis sein Viertel im Bürgerkrieg
durch Bomben zerstört wurde. Der junge Mann folgte seiner Familie darauf in die Flucht, die ihn nach Deutschland führte, wo er schließlich im Jahr
des Merkel-Statements mit wundgelaufenen Füssen ankam.
Damit endete sein Weg jedoch nicht: Habash kam vor drei Jahren im Dillenburger Stadtteil Frohnhausen unter, wo sich die dortige evangelische Kirchengemeinde
um die Flüchtlingsgruppe kümmerte, der er angehörte. „Die deutsche Sprache lernte Ismail schneller als viele andere“, sagen Martina und Ernst-Peter
Wissenbach, in deren Haus der junge Syrer wohnt – obwohl er Analphabet ist. Habash engagierte sich auch in der Gemeinde, half aus wo es ging und dolmetschte
für andere Geflüchtete. Vor einem Jahr zeichneten ihn Vertreter des Lahn-Dill-Kreises bei einer Veranstaltung der Caritas für sein Engagement mit einem
Ehrenpreis als „Brückenbauer“ aus. Er sei froh, dass er der Gesellschaft etwas zurückgeben kann, sagt er dazu. Eines blieb Habash allerdings verwehrt:
Trotz Schulbesuch schaffte er es nicht mehr, Lesen und Schreiben zu lernen.
In Frohnhausen begegnete Ismail Habash auch Manfred Weber, der als Mitglied des Kirchenvorstandes in Frohnhausen Habashs Integration begleitete. „Was den
beruflichen Werdegang betrifft, war Ismail für mich persönlich und dienstlich eine große Herausforderung“, erinnert sich Weber. Der Grund: Obwohl Betriebe
und Kommunen ihm Praktika ermöglichten, war eine befristete Anstellung zunächst nicht zu finden. Der Kammer-Vertreter sah Habash, der in seiner Nachbarschaft
lebt und viele Wege trotz seiner Schwerbehinderung nach wie vor hartnäckig zu Fuß zurücklegt, fast täglich und hörte seinen „sehnlichsten Wunsch, einen
festen Arbeitsplatz zu bekommen, bei dem er sein eigenes Geld verdienen kann.“ Weber machte sich auf die Suche und stieß in Frohnhausen auf einen Orthopädie-Schuhmachermeister,
der im Laufe der Zeit aus einer kleinen Werkstatt ein Unternehmen aufgebaut hat, das heute international am Markt tätig ist.
Webers Engagement hat eine Vorgeschichte: Bereits seit 2014 beschäftige sich die HWK mit dem Thema Inklusion, „insbesondere in Mittelhessen“. Von 2014
bis 2016 haben sich die Wiesbadener Handwerks-Vertreter an einem bundesweiten Inklusionsprojekt der Kammern beteiligt, bei dem Weber als Projektleiter
für die Umsetzung verantwortlich war. Danach „haben die Verantwortlichen in der Handwerkskammer Wiesbaden entschieden, das Thema Inklusion auch nach
dem Projektende weiter zu verfolgen“, sagt Weber. Seit Jahren engagiert sich die Institution „mit Beratungen und in einer Lotsenfunktion“ für die Mitgliedsbetriebe
– mit Erfolg: „In dieser Zeit haben wir viele positive Ergebnisse in Form von Vermittlungen erreichen können.“
Auch Ismail Habash hat es geschafft: Nach einem dreimonatigen Praktikum und einer Probezeit arbeitet er seit Anfang März fest in der Werkstatt der Matthias Hartmann Orthopädie + Sport GmbH. „Interessant dabei ist vor allem, dass sich die Mitarbeiter des Betriebes beim Chef
dafür ausgesprochen hatten, Ismail unbedingt weiter zu beschäftigen“, sagt Weber. Und die Handwerkskammer hat in ihrer Lotsenfunktion „alle systembeteiligten
Partner informiert und an einen Tisch gebracht haben“ – darunter das Jobcenter, der Integrationsfachdienst, die Diakonie, das Integrationsamt und der
Landeswohlfahrtverbandes (LWV). Über das Programm HEPAS (Hessisches Perspektivprogramm zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen schwerbehinderter Menschen) kam es dann
zum lange ersehnten Arbeitsvertrag.
Um zu seinem Arbeitsplatz in die Werkstatt des Unternehmens zu kommen, die in Eschenburg-Hirzenhain bei Eschenburg liegt, steht Ismail Habash jetzt jeden
Tag um 4.30 Uhr auf, geht zu Fuß zur Haltestelle, um mit dem Bus zunächst nach Dillenburg und dann nach Hirzenhain zu fahren, wo er zwei Stunden später
ankommt. Seine Arbeit beginnt er um 7.00 Uhr. Nach dem Feierabend um 15.30 Uhr schafft er es bis 17.00 Uhr auf dem gleichen Weg wieder nach Frohnhausen
– wenn kein Schnee liegt. „Der Weg in eine Arbeit war lang und beschwerlich“. Aber so sei es für ihn immer gewesen, sagen Martina und Ernst-Peter Wissenbach
über Habash „Für ihn ist ein Traum in Erfüllung gegangen.“ Wichtig sei für ihn aber, nicht daran gemessen zu werden, was er nicht kann. Sondern Anerkennung
dafür zu bekommen, was er schon erreicht hat.