Wer sein Leben lang einen Betrieb aufgebaut hat, will sein Werk am Ende der unternehmerischen Laufbahn in guten Händen wissen. Doch genau das stellt zunehmend eine Herausforderung dar: „Es wird immer schwieriger für Unternehmen, die zur Nachfolge anstehen, passende Nachfolger zu finden“, sagt Alexander Cunz, bei der IHK Lahn-Dill unter anderem zuständig für die Bereiche Existenzgründung und Unternehmensförderung. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von der allgemeinen Altersstruktur in der Bevölkerung bis hin zu einer skeptischen Sicht auf eine Karriere als Selbstständiger. „Die wird oft als unattraktiv wahrgenommen“, sagt Cunz. Nicht nur die Kammern wie die regionalen IHKs und die Handwerkskammer, sondern auch auf das Thema spezialisierte Berater sehen dringend Handlungsbedarf – und bieten ihre Hilfe an.
Das Problem: Viele familiengeführte Unternehmen aus dem klassischen Mittelstand stünden in der Region in den nächsten Jahren zur Übergabe an, gibt Cunz zu bedenken. Im Rahmen einer Studie haben die mittelhessischen IHKs Unternehmen und Nachfolger darüber befragt, was genau diesen Prozess gegenwärtig schwierig macht. „Weniger Junge kommen nach“, verweist Cunz zunächst auf die Demografie: Die Übergabewilligen gehören meist den geburtenstarken Jahrgängen der Baby-Boomer an. In der Konsequenz bedeutet dies, dass potenzielle Nachfolger sich meist aussuchen können, ob sie den herausfordernden Weg als Unternehmer wählen oder einfach einen gut bezahlten Job annehmen. Dabei steht Mittelhessen noch gut da – als Region mit einer „hohen Studierendendichte und damit einem hohen Potenzial an gut ausgebildeten Menschen, die für eine Nachfolge in Frage kommen“.
Besonders betroffen vom Nachfolger-Mangel: das Handwerk. Gut 30 Prozent der Handwerksbetriebe in Hessen streben in den nächsten fünf Jahren eine Nachfolge an, sagt Julian Will von der Nachfolgekontor GmbH, die sich auf die Unternehmensnachfolge kleiner und mittlerer Unternehmen spezialisiert hat. „Grundsätzlich ist das Missverhältnis schon so stark, dass ein Strukturwandel stattfinden muss.“ Viele Betriebe haben dabei ein Problem mit etwas, das das Institut Mittelstandsforschung als „Übergabewürdigkeit“ bezeichnet. „Wenn Sie Einzelkämpfer sind, keine oder wenige Fachkräfte im Betrieb haben“, sei es in vielen Fällen unattraktiv, einen solchen Betrieb zu übernehmen, sagt Michael Steinert, Abteilungsleiter für betriebswirtschaftliche Beratung bei der Handwerkskammer Wiesbaden.
Dabei „ging es dem Handwerk in den vergangenen Jahren bis auf Ausnahmen sehr gut“, fügt Steinert hinzu. In der Prosperität können aber auch Probleme liegen, denn viele Übergeber übersehen die steuerlichen Folgen einer Übergabe, wie der Diplom-Betriebswirt warnt. Das gilt, wenn zum Beispiel Immobilienbesitz eine Rolle spielt, der in den vergangenen Jahren enorm an Wert zugelegt hat, und nun beim Betriebsverkauf eventuell ins Privatvermögen überführt und besteuert werden muss. Eine weitere Herausforderung beschreibt Berater Julian Will: Viele Betriebe bildeten „wie eine Schablone“ den Eigentümer ab; „ist die Person nicht mehr da, existiert das Unternehmen nicht mehr, wie es jetzt ist“. Solche „Alleinentscheider“ brächten zudem nicht selten eine hohe Emotionalität in den Prozess, der Abschlüsse zusätzlich schwierig mache.
Ein weiterer Stolperstein ist in solchen Fällen auch das Geld: „Der eigene, wahrgenommene emotionale Wert“ des über Jahrzehnte aufgebauten Geschäfts sei oft deutlich höher als das, „was man oft am Markt erzielen kann“, sagt Dr. Christopher Rock vom Beratungsunternehmen Justus CIE. Überhaupt spielten Emotionen nicht selten eine destruktive Rolle: Selbst bei innerfamiliären Übergabeprozessen könne es knirschen, wenn „sich der Senior schwertut, der nächsten Generation zu übergeben“. Apropos Senior: Die Demografie bereitet nicht nur bei den potenziellen Übernehmern Probleme. Auch in der Belegschaft gebe es häufig überalterte Strukturen, „wenig unter 40, viel über 50 – und auch das ist natürlich eine Schwierigkeit“, sagt Rock.
Unter anderem Herausforderungen wie diese machen qualifizierte Berater wie Julian Will und Christopher Rock so wertvoll. Kein klassisches Beratungshaus ist dagegen die Deutsche Unternehmensverkauf (DUV). „Die Beraterlandschaft ist sehr fragmentiert“, sagt Nils Langgärtner von der DUV. Rund 300 Berater und Beratungshäuser gebe es in Deutschland. „Wir begleiten die Unternehmer dabei, den richtigen Berater für die jeweilige Situation und die individuelle Zielsetzung zu finden.“ Insbesondere Letzteres kann Einfluss auf den Verkaufspreis haben: Liegt die Priorität darauf, dass der Käufer das Lebenswerk im Sinne des Verkäufers weiterführt, oder ist ein maximaler Erlös das Ziel? Auch die Nachfrage werde oft über-, manchmal aber auch unterschätzt: „Es gibt auch Unternehmer, die sich nicht vorstellen können, dass es einen passenden Käufer für ihren Betrieb gibt.“
In dieser frühen Phase der Entscheidungsfindung, „wo häufig der Verkaufsentschluss noch gar nicht gefasst ist“, will die Deutsche Unternehmensverkauf Orientierung geben, um eine „qualifizierte Empfehlung“ aussprechen zu können, „mit wem man diesen Weg gemeinsam gehen kann“, um den Nachfolgeprozess erfolgreich zu gestalten. Langgärtner warnt auch davor, sich zu früh auf „proaktive“ Kaufangebote einzulassen. „Das ist nicht die stärkste Verhandlungsposition für einen Unternehmer.“ Wichtig sei vor allem, sich frühzeitig mit der Nachfolge zu beschäftigen. „Gerade im Handwerk ist die Vorbereitung der Schrittmacher des Erfolgs.“ Fragen zum Beispiel zum Personalbestand, zu fälligen Investitionen, zur Digitalisierung und zu Prozess-Dokumentationen sollten zunächst intern bearbeitet werden, um die Verkaufsfähigkeit zu verbessern. „Wenn man alle Karten in der Hand hält, wenn es zu schön wäre, jetzt zu gehen“, dann sei eigentlich der richtige Zeitpunkt, um über einen Verkauf nachzudenken.
Vor allem darin sind sich Cunz, Steinert, Will und Rock mit Langgärtner einig: Eine „zu kurze Vorbereitungszeit“ sei neben dem Kaufpreis und der Abhängigkeit des Betriebs vom Unternehmer das vordringlichste Problem bei der Nachfolge, sagt Julian Will. Dabei gebe es Lösungen: Zum Beispiel könnte bereits Jahre vor dem angepeilten Verkauf ein Meister mit der Geschäftsführung zusammenarbeiten, um dann die Leitung zu ersetzen und schließlich über ein Stufenmodell Anteile zu übernehmen. Oder mehrere Meister machen dies zusammen als Partner. „Das ist monetär attraktiv.“ Gerade in Mittelhessen sei im Handwerk „die Goldgrube eröffnet“: In über der Hälfte der Betriebe seien die Eigentümer über 60 Jahre alt. „Da stehen demnächst Übergaben an.“
Ist das Unternehmen gut aufgestellt, stimmt die Altersstruktur und hat auch schon der Einstieg in die Digitalisierung stattgefunden, gibt es in bestimmten Bereichen, zum Beispiel im verarbeitenden Handwerk in Mittelhessen, auch Nachfrage: „Was wir ganz stark sehen, ist klassisch der Elektriker, die Heizungs-, Sanitär- und Klima-Branche.“ Viele merkten, dass hier die Dienstleister knapp werden, sagt Christopher Rock. „Es gibt aber wenige Betriebe am Markt, die auch attraktiv zu veräußern sind.“ Und auf der Käufer-Seite muss auch die entsprechende Meister-Qualifikation vorhanden sein, gibt Rock zu bedenken. „Es fehlen die Meister, die Betriebe übernehmen wollen.“
Mittlerweile suchen Übernehmer daher auch einfach Betriebe, um an die dort angestellten Fachkräfte zu kommen, sagt Michael Steinert von der Handwerkskammer. Die Baby-Boomer unter den Unternehmern treffen auf eine Generation, die berufliche Chancen eher im Studium sehen als in einer Ausbildung. „Dabei kann man auch mit einem abgeschlossenen Studium im Handwerk gutes Geld verdienen“, betont Steinert. Die Handwerkskammer biete Ihren Mitgliedern und solchen, die es werden wollen, eine Beratung an (https://www.hwk-wiesbaden.de/artikel/betriebsberatung-44,755,52.html). „Außerdem empfehlen wir unseren Unternehmen, sich auf der nexxt-change-Betriebsbörse (https://www.nexxt-change.org) zu registrieren, einer bundesweiten, kostenlosen Übergabe-Plattform.
Die mittelhessischen Industrie- und Handelskammern sprechen unter anderem mit einer gemeinsamen Marketing-Kampagne potenzielle Übernehmer-Kandidaten an – auch um deutlich zu machen, „dass Nachfolge eine lohnenswerte Alternative zur Gründung ist“, wie Alexander Cunz von der IHK sagt. „Wir stehen als Partner zur Seite, machen eine Einstiegsberatung und unterstützen im Nachfolgeprozess.“ Bei einer Veranstaltungsreihe haben die Kammern der Region auch die Nachfolge-Suchenden für die Probleme und Herausforderungen „sensibilisiert“ (https://www.ihk.de/lahn-dill/gruendung-foerderung-steuern/unternehmensnachfolge/nachfolge-mittelhessen). Dabei kamen auch Fragen zur Finanzierung und zu rechtlichen Aspekten zur Sprache. „Die Übergeber können wir als Kammern gut ansprechen.“ Um auch die andere Seite besser zu erreichen, arbeite man mit einer Agentur zusammen, um die Zielgruppen auf der Übernehmer-Seite genauer identifizieren und so besser adressieren zu können – unter anderem mit einer Social-Media-Kampagne. Das Ziel ist, die Betriebs-Übernahme endgültig als attraktive Karriere-Perspektive auch in der Generation Z zu etablieren.