Fabian Hambüchen
ist Hessens Botschafter für Alphabetisierung und Grundbildung. Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz hat den erfolgreichen Kunstturner, Goldmedaillengewinner
bei den Olympischen Spielen und frisch gebackenen „Sportler des Jahres“ als Gesicht der Kampagne vorgestellt: „Ich freue mich sehr, dass wir mit Fabian
Hambüchen einen national wie international bekannten Sportler für dieses wichtige Thema gewinnen konnten. Er ist ein echter Sympathieträger und hat
erst vor Kurzem wieder unter Beweis gestellt, dass Engagement, Fleiß und Durchhaltevermögen auch nach schwierigen Phasen zu einem großartigen Ergebnis
führen können. Eigenschaften also, die auch beim Lesenlernen im Erwachsenenalter unabdingbar sind. Mit seiner Unterstützung wollen wir auf das Thema
aufmerksam machen und unserem Anliegen ein Gesicht geben.“ Denn schließlich seien allein in Hessen rund eine halbe Million Menschen davon betroffen.
Hambüchen selbst machte deutlich, dass ihm Bildung ein echtes Herzensthema sei. Sie sei Voraussetzung für unser Wertesystem und stehe als Grundrecht jedem
und jeder zu. „Wer nicht lesen oder schreiben kann, muss sich dafür nicht schämen, sondern soll mutig die Chance ergreifen dies zu erlernen“, so der
Turnstar. „Ich habe in meiner Karriere viele Niederlagen einstecken müssen, war immer wieder verletzt und habe zuletzt beinahe die Qualifikation für
die Olympischen Spiele verpasst. Aber dann bin ich – als es fast keiner mehr für möglich gehalten hat – als Goldmedaillengewinner aus dem Wettkampf
gegangen. Es hätte zahlreiche Gründe gegeben, das Handtuch zu werfen und zu resignieren, aber ich habe gelernt, geduldig zu sein, mit der Hilfe von
Profis weiter zu trainieren und den Glauben an mich selbst nicht zu verlieren. Und genau das ist der Grund für meinen Erfolg.“ Aus dieser persönlichen
Motivation heraus wolle er mit seiner Bekanntheit dazu beitragen, das Thema in das Bewusstsein der Bevölkerung zu tragen und den Abbau dieses Tabu-Themas
zu fördern. „Als erwachsener Mensch lesen und schreiben zu lernen, erfordert Mut, hartes Training und viel Disziplin“, erklärte Hambüchen weiter. „Ich
möchte Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten motivieren, an sich selbst zu glauben, nicht aufzugeben und die Beratung und Hilfe von Profis,
wie es sie in den zahlreichen Einrichtungen der Weiterbildung gibt, aufzusuchen und anzunehmen. Jede und jeder kann es lernen und der Erfolg zahlt
sich aus.“
Aus Angst und Scham, sich als Analphabeten offenbaren zu müssen, trauen sich nur wenige Betroffene, aktiv Hilfe zu suchen. „Dabei kann dieser kleine Schritt
so viel zum Positiven wenden“, hob auch Kultusminister Lorz hervor. „Wir wollen, dass mehr Menschen diesen Schritt wagen. Fabian Hambüchen fungiert
hier als Mutmacher, der gezeigt hat, dass er sich durch Rückschläge nicht von seinen Zielen abhalten lässt.“ Mit ihm mache das Land einen wichtigen
Schritt in die Öffentlichkeit. Denn: „Funktionaler Analphabetismus braucht mehr Öffentlichkeit“, betonte Lorz. „Die Menschen müssen sehen, dass sie
mit ihrem Problem nicht allein stehen, und vor allem, dass es Abhilfe gibt und es auch im Erwachsenenalter noch möglich ist, lesen und schreiben zu
lernen.“
Bund und Länder wollten mit der Nationalen Dekade für Alphabetisierung dem Thema eine größere Aufmerksamkeit verschaffen und damit in den nächsten zehn
Jahren die Lese- und Schreibfähigkeiten von Erwachsenen in Deutschland deutlich verbessern, so der Kultusminister. Der Kampagne ein Gesicht zu geben,
ist ein Baustein dafür. Darüber hinaus geht es natürlich auch um konkrete Hilfe: „Erwachsene sollen mehr und andere Angebote als bisher bekommen, die
sie dabei unterstützen, besser lesen und schreiben zu lernen. Und wir wollen uns die Zeit geben und nehmen, die das Thema eben braucht.“ Das Land Hessen
habe diese Aufgabe seit jeher sehr ernstgenommen, was sich in vielfältigen Maßnahmen aber auch schon in den Leitgedanken des Hessischen Weiterbildungsgesetzes
wiederfinde.
Förderprogramm mit landesweit fünf Grundbildungszentren
Maßnahmen zur Grundbildung und Alphabetisierung Erwachsener gelten als Teil der Grundversorgung und des Pflichtangebots, d. h. die öffentlichen und freien
Träger werden für diesen Zweck aus Landesmitteln gefördert. Besonders vielversprechend und auch bundesweit bisher einzigartig ist ein mittlerweile
im fünften Jahr vom Land gefördertes gemeinsames Vorhaben aller neun landesweiten Organisationen in freier Trägerschaft, dessen Ziel, die Verankerung
der Thematik in den neun Bildungswerken wie auch in den jeweiligen Mutterorganisationen und vor allem auf systematische Sensibilisierung von Multiplikatoren
ausgerichtet ist. Über diese bereits vorhandenen Strukturen fördert das Land nun mit eigenen sowie Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) seit
gut einem Jahr fünf Grundbildungszentren in Frankfurt, Wiesbaden, Gießen, Darmstadt und Kassel.
Jedes Grundbildungszentrum bietet verpflichtende Maßnahmen an wie eben Kurse zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener, Beratung und Information
von „Schlüsselpersonen“ und sogenannten „Mitwissern“, hat aber auch bestimmte Schwerpunkte. Darunter fallen z.B. die Gewinnung ehrenamtlicher Mentoren,
die Erprobung neuer Lernformate, wie bspw. aufsuchende Weiterbildungsangebote an niedrigschwelligen Lernorten. „Bis 2022 wollen wir ein landesweites
Netz aus insgesamt zehn solcher Zentren nachhaltig implementieren“, erklärte der Kultusminister. Das Land steuere für den Aufbau der Grundbildungszentren
über den Gesamtförderzeitraum 1,8 Mio. Euro als Kofinanzierung zu den ESF-Mitteln in gleicher Höhe bei.
Begleitend zur bundesweiten Kampagne hat Hessen eine eigene Broschüre über „Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener“ erstellt. Sie gibt einen Überblick
über das Thema und die Hintergründe und erläutert, welche Auswirkungen funktionaler Analphabetismus im Leben der Betroffenen haben kann. Die Broschüre
richtet sich dabei weniger an Betroffene sondern vielmehr an Multiplikatoren in Verwaltung, in Vereinen und vor allem im Umfeld der Betroffenen. Das
können Angehörige, Kollegen oder auch Arbeitgeber, Mitarbeiter in Behörden, aber z.B. auch Arztpraxen sein. „Auch dies ist ein Baustein zum Ziel, dieses
Tabu-Thema ans Tageslicht zu bringen, Hinweise zu geben, wo es Lern- und Beratungsangebote für funktionale Analphabetinnen und Analphabeten gibt und
aufzuzeigen, wo sich das Umfeld, zu diesem wichtigen Thema sachkundig machen kann“, sagte Lorz.
Darüber hinaus sei geplant, einen Imagefilm mit Fabian Hambüchen als „Botschafter für Alphabetisierung und Grundbildung“ zu produzieren, erläuterte Minister
Lorz weiter. zurück. Und Hambüchen werde als Botschafter sicher auch den einen oder anderen Termin in Hessen wahrnehmen. „Ich glaube, wir konnten keinen
besseren Botschafter in Hessen gewinnen. Ich danke ihm schon jetzt für sein alles andere als selbstverständliches Engagement in dieser Sache“, sagte
Lorz abschließend.
Hintergrund:
Wissenschaftliche Studien belegen, dass ca. 7,5 Millionen Menschen in Deutschland (14,5 % der Gesamtbevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren), davon rund
555.000 in Hessen (9 %), nur sehr schlecht lesen und schreiben können. Sie gelten als funktionale Analphabeten. Diese Menschen sind zwar in der Lage,
einzelne Sätze lesen und schreiben zu können, zusammenhängende Texte wie beispielsweise auf Hinweisschildern, Formularen beim Arzt und Arbeitsanweisungen
können sie jedoch nicht lesen. In der Folge können sie deshalb nur eingeschränkt am gesellschaftlichen, sozialen und beruflichen Leben teilhaben und
unterliegen einem hohen Risiko der Arbeitslosigkeit und der Armutsgefährdung. Bund und Länder unterstützen sie während der Dekade für Alphabetisierung
mit passenden Angeboten. Nicht zu vergleichen ist die Gruppe der funktionalen Analphabeten mit dem totalen Analphabetismus, bei dem ein Mensch weder
schreiben noch lesen kann und beides auch nie gelernt hat.