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Fliegen, stürzen – lernen

Regionalmanagement Mittelhessen GmbH Gepostet von Regionalmanagement Mittelhessen GmbH in Aktuelles aus Mittelhessen 5 min. Lesezeit

Einer wirkt zufrieden, sieben leicht zerknirscht: Während Prof. Dr. Chris Volkmar vom Fachbereich Elektro- und Informationstechnik (EI) der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) das fachliche und inhaltliche Ziel erreicht sieht, hätten seine Studierenden doch lieber ihre eigenen Raketen im Himmel über norddeutschem Moor gesehen, statt Bruchstücke aus Pfützen zu sammeln. „Elon Musk hat sich über jeden Fehlschlag gefreut wie ein Kind“, macht Volkmar seinen Studenten Mut. Der heute erfolgreichste Privatunternehmer im All sei auch nicht im ersten Anlauf zur ISS geflogen.

So weit wollten die sieben Studenten des kooperativen Studiengangs „Physik und Technologie für Raumfahrtanwendungen“ ohnehin nicht. „Unser wissenschaftliches Ziel war die Erfahrung“, sagt Simon Spier, einer der Tüftler. Und davon haben sie einige gesammelt. Die Idee, erläutert Spiers Kommilitone Yannic Ewert, sei Anfang 2021 entstanden: Eine eigene Rakete konstruieren und in die Höhe schießen. Da selbst kleine Raketen keine Stangenware sind, umfasste das Projekt die Ermittlung der passenden Komponenten, die Konstruktion und Software-Programmierung, Simulation und schließlich den Start und den Flug, während dem Daten gemessen und übermittelt werden sollten. Als „breites und umfangreiches Unterfangen mit diversen Unterteams“ bezeichnet Ewert das Projekt. Teile kamen aus dem Handel, weitere aus dem 3D-Drucker, nur wenig mussten die Studenten fertigen lassen. Als i-Tüpfelchen sollte ein eigenes Fallschirm-System die Rakete nach dem Flug sanft zu Boden sinken lassen.

Nach einem ersten Zeitungsbericht wurde der Modellbauer Dennis Petroll auf das Team aufmerksam, der mit eigener Expertise aushalf und den Kontakt zum Modellbauer Karthi Savundararajan herstellte. Der betreibt nicht nur einen Webshop für Raketen-Komponenten, sondern verfügt auch über eine dauerhafte Aufstiegsgenehmigung bei Bremen. Seinen Platz stellte er den sieben Mittelhessen ebenso zur Verfügung wie ein Triebwerk. „Er hat uns auch am Starttag begleitet und geholfen“, sagt Simon Spier dankbar. Denn eine fachliche und mentale Stütze konnten die Forscher gut gebrauchen. Ihre Raketen flogen ihnen nämlich – nicht nur sprichwörtlich – um die Ohren.

Mit zwei Exemplaren waren die Studenten im von einem Ranstadter Innenausbau-Unternehmen gesponserten Kleinbus nach Bremen gereist. „Überarbeitet und unterschlafen“, wie Spier es sagt, machte sich die Gruppe an die Startvorbereitungen. Dass der Flugcomputer unerwartete Kontrolltöne von sich gab, bemerkte die Gruppe zwar, maß dem jedoch keine größere Bedeutung bei. Ein Fehler: Während die Triebwerke zündeten, erachtete die Elektronik die Rakete am Boden – mit der Folge eines Absturzes. Das zweite Exemplar, im Code verschlankt und mit einem starken statt acht kleinen Motor ausgestattet, nahm dann noch auf dem Startplatz wegen einer fehlerhaften Sensormessung die Zeit für die Fallschirmöffnung als bereits gekommen an. Ein schnell zu behebendes Problem, dem nach etwas Programmier-Arbeit und einiger erfolgreicher Kontrollen der nächste Startversuch folgte. Der gelang – bis die Rakete bei etwas über 250 Metern Höhe schließlich in Einzelteile zerfiel. Die doppelte Höhe und eine in einem Stück am Fallschirm hinabsegelnde Rakete – das wäre das Ziel gewesen.

„Wir sind in der Fehleranalyse“, sagt Simon Spier. Für Prof. Volkmar gerade deshalb ein gelungenes Projekt: „Es gibt Erkenntnisse, die treten erst zutage, wenn man es mit echten Messwerten zu tun hat“, sagt er. Das Vorhaben, das komplett auf Eigeninitiative der jungen Männer entstand und mit nur geringer fachlicher Begleitung Volkmars gestemmt wurde, stecke „voller guter Ideen“. Die könne das Team „rundschleifen und veredeln“. Die Ambition dazu ist ohnehin vorhanden – und auch noch genug aus dem Moor gerettete, intakte Raketen-Bauteile.