Kinder
psychisch kranker Eltern stehen im Mittelpunkt eines neuen Forschungsvorhabens, das die Psychologie-Professorin Dr. Hanna Christiansen von der Philipps-Universität
leitet. Das Forschungsteam aus Marburg, Gießen und drei weiteren deutschen Universitäten möchte herausfinden, ob sich ein spezielles Elterntraining
positiv auf die Kinder von Personen auswirkt, die an einer psychischen Erkrankung leiden. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) fördert das Projekt „COMPARE-family“ in den kommenden vier Jahren mit mehr als zwei Millionen Euro.
Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Sucht oder Schizophrenie sind nicht nur mit erheblichen Beeinträchtigungen für die Betroffenen
verbunden, auch das soziale Umfeld leidet unter den tabuisierten Krankheiten. Fachleute schätzen, dass etwa 25 Prozent der Minderjährigen in der Bundesrepublik
ein psychisch erkranktes Elternteil haben. „Für diese Kinder und Jugendlichen ist es besonders schwer zu verstehen, warum Mama oder Papa sich plötzlich
anders verhalten als bisher, nicht mehr mit ihnen spielen oder lachen können“, erläutert Projektleiterin Christiansen.
„Viele dieser Kinder müssen mehr Verantwortung übernehmen, als es in ihrem Alter angemessen ist“, führt Christiansen aus. „Sie machen sich Sorgen um ihre
Eltern und suchen die Schuld für deren Verhalten bei sich selbst, weil sie nicht verstehen, worunter die Eltern leiden.“ All diese Belastungen können
sich in Schulversagen, stress-verbundenen Krankheiten oder Verhaltensauffälligkeiten niederschlagen.
Hinzu kommt, dass die betroffenen Kinder ihrerseits ein deutlich erhöhtes Risiko aufweisen, an einer psychischen Störung zu erkranken. Dieses erhöhte Risiko
ist einerseits damit zu erklären, dass psychische Störungen teilweise genetisch bedingt sind. Zum anderen sind die Kinder durch die Erkrankung der
Eltern stärker belastet. „Es ist daher dringend notwendig, präventive Angebote zu initiieren, um den Teufelskreislauf zu durchbrechen und zu verhindern,
dass die Kinder selbst erkranken“, betont Christiansen. „Faktisch bestehen in unserem Gesundheitssystem jedoch kaum Möglichkeiten, sich diesen Kindern
zu widmen, solange sie selbst noch nicht erkrankt sind.“
In der Forschung wurde das Thema bislang kaum behandelt. Nun sollen Eltern, die unter einer psychischen Störung leiden und Kinder im Alter zwischen 6 und
12 Jahren haben, in einer multizentrischen Studie psychotherapeutisch behandelt werden. Die Hälfte der Eltern erhält zusätzlich ein Elterntraining,
das sogenannte Positive Erziehungsprogramm „Triple P“. Teilnehmen können Eltern mit einer psychischen Erkrankung, die Kinder im Alter zwischen 6 und
12 Jahren haben und sich einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung unterziehen wollen. Für die Eltern ist die therapeutische Behandlung kostenlos,
sie wird von den Krankenkassen getragen.
Für die Studie sucht das Marburger Wissenschaftlerteam ab Januar 2018 noch Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Selbstverständlich unterliegen die Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler bei allen Erhebungen der Schweigepflicht.
Hanna Christiansen lehrt Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Philipps-Universität und leitet die Kinder- und Jugendpsychotherapie-Ambulanz Marburg (KJ-PAM). Ihr Team arbeitet in dem Projekt mit Professorin Dr. Christina Schwenck
von der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie Kolleginnen und Kollegen der Universitäten
München, Dortmund und Bochum zusammen. Der Gesamtverbund führt auch noch weitere Teilvorhaben durch: So widmet sich die Marburger Psychologie-Professorin
Dr. Kathleen Otto den elterlichen Arbeitsbedingungen als Risikofaktor; Christina Schwenck untersucht in einem weiteren Ansatz die Emotionsverarbeitung
bei den betroffenen Kindern.
Der Forschungscampus Mittelhessen ist eine hochschulübergreifende Einrichtung nach §47 des Hessischen
Hochschulgesetzes der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Philipps-Universität Marburg und der Technischen Hochschule Mittelhessen zur Stärkung der
regionalen Verbundbildung in der Forschung, Nachwuchsförderung und Forschungsinfrastruktur.