Freie Fahrt auch mit dem Rad – das gibt es in Marburg als erster Stadt weltweit für Radfahrerinnen
und Radfahrer. Möglich ist das mit der kostenlosen Smartphone-App Sitraffic SiBike. Sie wurde von Siemens entwickelt, exklusiv
in der Universitätsstadt getestet und nun auf den Markt gebracht. Haben Radlerinnen und Radler
die App auf dem Smartphone, fordert SiBike an Ampeln automatisch Grün an. Das beschleunigt den Radverkehr erheblich, behindert weder Auto- noch Busverkehr
und bringt mehr Sicherheit für alle Beteiligten.
„Wir freuen uns sehr und sind stolz darauf, die neue Technologie als Pioniere in unserer Stadt an den Start zu bringen. Das ist ein denkwürdiger Tag“,
sagt Oberbürgermeister und Radverkehrsdezernent Dr. Thomas Spies bei der offiziellen Vorstellung der neuen App in Marburg. „SiBike macht das Radfahren
in Marburg noch attraktiver. Wir hoffen, dass die App als weiterer Baustein zusammen mit dem Ausbau der Radverkehrswege und dem Verleihsystem Nextbike
den Anteil an der klimafreundlichen Mobilität auf zwei Rädern noch weiter steigert. Davon profitieren alle – durch mehr Platz auf den Straßen, weniger
Schadstoffen in der Luft und weniger Lärm im öffentlichen Raum“, führt Spies aus.
So genannte „Grüne Wellen“ durch koordinierte und bedarfsorientierte Ampelschaltungen sorgen für einen guten Verkehrsfluss und reduzieren unnötige Brems-
und Beschleunigungsmanöver. Was es auf den Marburger Straßen für Autos und Busse gibt, folgt nun mit SiBike für den Radverkehr. Die App löst an Radampeln
die Grünphase bei Bedarf früher aus oder verlängert sie. Der Auto- oder Busverkehr wird dadurch nicht gestört.
Dabei baut SiBike auf der fahrradfreundlichen Ampelschaltung auf, die es am Erlenring seit fast zwei Jahren gibt. Dort werden schon die unterschiedlichen
Geschwindigkeiten der verschiedenen Verkehrsarten ausgenutzt. Autos beschleunigen an Ampeln schneller als Fahrräder und fahren danach auch schneller
weiter. Schaltet eine Ampel von Rot auf Grün, dauert es mehrere Sekunden, bis ein Mensch auf einem Rad an einer Kreuzung auf gleicher Höhe mit den
Autos ist. Erhält die Rad-Ampel diese Zeit bei Grün grundsätzlich als Vorlauf, sind das Rad und der Mensch darauf am möglichen Konfliktpunkt mit einem
abbiegenden Auto schon vorbei, wenn das Kfz dort angelangt. Das Ergebnis: Radlerinnen und Radler werden besser gesehen, Autofahrerinnen und Autofahrer
müssen beim Abbiegen nicht mehr für sie bremsen, der Verkehr für beide Seiten rollt.
Die SiBike-App dynamisiert nun diese Technik und ersetzt die bestehende Standardschaltung durch eine bedarfsgerechte Ampelsteuerung. Nähert sich ein Radfahrer
oder eine Radfahrerin mit der SiBike-App einer Kreuzung, erkennt die App den aktuellen Stand der Ampelanlage sowie die Fahrtrichtung und die Geschwindigkeit
des Fahrrads und übermittelt die Daten an den Verkehrsrechner. Dieser schaltet die Fahrradampel, wenn es die Situation zulässt, direkt oder zumindest
bis zu sechs Sekunden früher als für die Autos auf Grün. Und er verlängert eine bestehende Grünphase um ebenfalls bis zu sechs Sekunden. Außerdem wird
eine „Grüne Welle“ für die weiteren Ampeln veranlasst, damit der Radverkehr sie möglichst verzögerungsfrei passieren kann.
„SiBike nutzt dafür Satellitennavigationstechnolog
ie“, erklärt Stefan Eckert, Leiter der Siemens-Division Mobility in Süddeutschland, beim Ortstermin mit Live-Test der neuen App am Erlenring. Neben
OB Spies und Stefan Eckert nehmen außerdem Bürgermeister und Baudezernent Wieland Stötzel sowie Michael Hagenbring, Fachdienst Straßenverkehr, Diogo
Henriques Soares, Fachdienst Tiefbau und Radverkehrsbeauftragter, Thorsten Müller und Andreas Batzer, beide im Vertrieb der Siemens-Division Mobility,
sowie SiBike-Produktmanagerin Olivia Köhler am Termin und der Testfahrt teil.
Das Smartphone des Radfahrers oder der Radfahrerin bestimmt die Position mittels GPS und prüft, ob das Fahrrad einen virtuellen Auslösepunkt mit einer
vorher bestimmten Geschwindigkeit passiert. Wenn das Fahrrad den Auslösepunkt passiert, meldet die App die Aktivierung an die Verkehrszentrale, die
wiederum einen Befehl an die Ampelsteuerung gibt und für grünes Licht sorgt.
„Die Grüne Welle für Radfahrer hat für die Städte und seine Einwohner gleich mehrere Vorteile“, so Stefan Eckert. Zum einen würden mehr Leute das Fahrrad
als Verkehrsmittel entdecken und das Auto zu Hause stehen lassen – was Natur und Verkehr entlasten und den Lärm reduzieren würde. Und zum anderen ist
es kinderleicht umzusetzen: „Es sind keinerlei bauliche Eingriffe notwendig – lediglich die Programmierung der Ampelanlagen wird verändert. Dies ist
vergleichsweise preiswert und lässt sich ohne größeren Aufwand realisieren“.
Im Herbst 2016 wurde die SiBike-App in Marburg getestet. Siemens hatte das Projekt auf der Suche nach einer geeigneten Teststrecke für ihre Produktidee
an die Stadt Marburg herangetragen. „Da wir seit Jahren den Radverkehr in Marburg fördern, war unsere Neugier und die Hoffnung groß, ein technikbasiertes
System zu bekommen, mit dem die Verkehrsgerechtigkeit in unserer Stadt erhöht werden kann“, so OB Spies.
Der Erlenring in Marburg bot sich für die Testphase an. Hier gibt es auf 700 Metern durchgängig markierte Radverkehrswege mit verkehrsabhängig koordinierten
Ampelschaltungen und dazu auch noch zwei Nextbike-Stationen. Außerdem ist der Erlenring eine der Strecken mit stetig steigendem Radverkehrsanteil.
Der Erlenring ist eine Hauptverbindung zwischen den Universitätsstandorten in der Innenstadt, der Mensa und dem Campus Lahnberge.
„Sieben Ampelanlagen wurden dort mit SiBike ausgerüstet“, berichtet Bürgermeister Wieland Stötzel. Zuvor hatte die Stadt die veralteten Steuergeräte der
Ampeln an der Erlenringspange erneuert und LED-Fahrradampeln installiert. Die Ertüchtigung der Signalanlagen war ohnehin notwendig. Rund 83.000 Euro
hat das gekostet – inklusive der Überplanung der „Grünen Welle“ für die SiBike-App.
Die Testphase hat die Technische Universität München (TUM) begleitet. Schnell war klar, dass SiBike den Radverkehr erheblich beschleunigt, ohne den übrigen
Verkehr wahrnehmbar zu beeinträchtigen. Die Teilnehmenden berichteten schon nach den ersten Fahrten mit dem neuen System, dass sie zwar keine 100-prozentige
„Grüne Welle“ hatten, aber doch viel zügiger unterwegs waren. Besonders gut gefiel den Radfahrerinnen und Radfahrern, dass sich die Halte an den Ampeln
um rund 30 Prozent reduzierten, und dass sie sich als Radfahrer/in – wegen der besseren Sichtbarkeit durch früheres Grün – ernster genommen fühlten.
„Wir benachteiligen damit nicht die Autofahrer/innen sondern bringen die verschiedenen Verkehrsmittel harmonisch zusammen und stimmen sie besser aufeinander
ab“, betonte OB Spies.
„Wir wollen SiBike auf die Straßenzüge und Kreuzungen mit Radverkehrspotenzial ausweiten und künftig bei Verkehrsplanungen automatisch mit prüfen“, berichtet
OB Spies. Da SiBike ein weitestgehend steuerungsbasiertes System ist, beschränken sich die Mehrkosten bei Neuplanungen auf die Aufrüstung von Fahrradampeln.
Aber auch die Nachrüstung einzelner Knoten, wie zum Beispiel an dem kurzen Steilstück am Wilhelmsplatz, am Bahnhofsvorplatz oder an der Kreuzung Biegenstraße/Pilgrimstein
wird derzeit durch die Stadtverwaltung geprüft.