Wie wollen sich die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl zum 20. Hessischen Landtag am 28. Oktober 2018
im Falle ihrer Wahl für den heimischen Wirtschaftsraum im Hessischen Landtag einsetzen? Das war die zentrale Fragestellung einer Gesprächsrunde, zu
der die IHK Lahn-Dill die Vertreter der sechs chancenreichsten Parteien in die IHK-Geschäftsstelle
Dillenburg eingeladen hatte.
15 der 18 angefragten Kandidaten – darunter zwei amtierende Staatsminister – aus den das Kammergebiet berührenden drei Wahlkreisen Marburg Biedenkopf,
Lahn-Dill I und II nahmen die Chance wahr, nach der Begrüßung durch IHK-Präsident Eberhard Flammer ihre Positionen zu insgesamt vier Themenfeldern
vor einem geladenen Publikum darzustellen, das die Mitglieder von Präsidium, Vollversammlung, Ausschüssen und Wirtschaftsjunioren sowie die Mitarbeiter
der IHK Lahn-Dill bildeten. Im einzelnen ging es um die Themenfelder Bildung, Kommunalfinanzen und Gewerbesteuer, Gewerbeflächen und Verkehr.
Das Kunststück, sowohl alle Bereiche innerhalb des gesetzten Rahmens von etwa zwei Stunden angemessen zu behandeln als auch zugleich die Landtags-Kandidaten
in gleichberechtigter Form zu Wort kommen zu lassen, vollbrachte als Moderator Christoph Irion, seines Zeichens Geschäftsführer des Christlichen Medienverbunds KEP e.V. (Wetzlar). Wegen der straffen Zeitplanung musste er allerdings auch konsequent auf jede Nachfrage
verzichten, die so manche unverbindliche Wahlkampf-Phrase platzen lassen und der Konkretisierung hätte dienen können.
Dr. Thomas Schäfer (CDU), Angelika Löber (SPD), Hans-Otto Seitz (FDP), Sandra Laaz (Bündnis90/Die Grünen) und Dr. Ingeborg Cernaj (Die Linke) aus dem Wahlkreis
12 Marburg-Biedenkopf I, Jörg Michael Müller (CDU), Stephan Grüger (SPD), Anna-Lena Benner-Berns (FDP), Priska Hinz (Bündnis90/Die Grünen) aus dem
Wahlkreis 16 Lahn-Dill I und Frank Steinraths (CDU), Cirsten Kunz (SPD), Dr. Matthias Büger (FDP), Caroline Krohn (Bündnis90/Die Grünen), Bernd Hannemann
(Die Linke) und Willi Wagner (AfD) aus dem Wahlkreis 17 Lahn-Dill II bildeten das Podium. Schon bei der 60 Sekunden kurzen Vorstellung kristallisierten
sich die Schwerpunkte Bildung und Digitalisierung heraus, die für die meisten Kandidaten die Schlüsselthemen zur Stärkung der heimischen Region vor
allem gegenüber der Metropolregion Rhein-Main darstellen.
Dass sie da als industriestärkste Region „im Ringen um die Ressource Geld“ gar keine schlechten Karten hat, machte Jörg Michael Müller eingangs schon in
seinem Statement bewusst – ähnlich wie Frank Steinraths, der von einer „starken Region“ sprach. Die Politik habe noch gar nicht verstanden, welche
Rolle beim Ausgleich zwischen ländlichem und städtischem Raum die Digitalisierung spielen könne, erklärte Angelika Löber. Auch Caroline Krohn sieht
die Digitalisierung als eines der beherrschenden Zukunftsthemen an, während Dr. Ingeborg Cernaj das Gewicht eher auf Nahverkehr, Bildung und gezielte
Förderung des Lebens auf dem Lande legt. Anna-Lena Benner-Berns setzte zudem noch den Schwerpunkt Fachkräfte-Gewinnung: „Unsere heimische Wirtschaftsstruktur
braucht Master und Meister!“, sagte sie. Dafür seien die Pädagogen der maßgebliche Schlüssel, da sie die Schüler in Sachen Berufsorientierung sensibilisieren
könnten.
Davon muss es nach der Meinung Willi Wagners allerdings nicht noch mehr geben: Die Region brauche mehr Lehrlinge anstelle zu vieler nicht studierfähiger
Abiturienten und zu vieler Lehrer, die diese ausbilden. Demgegenüber sprach sich Löber für eine Gleichberechtigung von beruflicher und akademischer
Ausbildung aus. Müller kritisierte in diesem Zusammenhang, dass das „Nicht-Engagement“ vieler interessenloser Eltern, die ihren Kindern grundlegendste
Kultureigenschaften nicht mehr mit auf den Weg geben könnten.
In Sachen Kommunalfinanzen sah Sandra Laaz viele landespolitische Ziele fast vor dem Ziel, machte allerdings nicht ausreichende Betreuungsangebote und
Potential für den ÖPNV im ländlichen Raum aus. Auch Hans-Otto Seitz sah wegen des schlechten Nahverkehrsnetzes Arbeitsplätze in Gefahr. Cirsten Kunz
erklärte, sie wünsche sich in dieser wie in anderer Hinsicht mehr finanziellen Gestaltungsspielraum der Kommunen. Kritischer äußerte sich Bernd Hannemann,
der unter anderem das Wohnraum-Problem und die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich ansprach.
Hier seien das Ende der „Schulden- und Investitionsbremse“ und das Gewähren von Krediten durch das Land vonnöten. Bezogen auf die kommunalen Haushalte
mahnte Dr. Matthias Büger, es würden zu viele Mittel nicht investiert, sondern konsumiert – die Schuldenbremse sei genau der richtige Weg.
Dr. Thomas Schäfer, amtierender Finanzminister in Hessen, wies darauf hin, dass auch die Kommunen bis heute von den Auswirkungen der gewaltigen Finanzkrise
betroffen seien und deshalb vielfach ihre Einnahmesituation verbessern und beispielsweise Gewerbesteuern anheben müssten. Eine Gewerbesteuerreform
begrüße er grundsätzlich, aber er könne keine Lösung für die enormen Umverteilungskosten erkennen. Verlässliche, durch das Land gewährleistete Einnahmequellen
für die Kommunen wünschte sich auch Büger angesichts der sehr unterschiedlichen Steuereinnahmen. „Dadurch ist manch gutes Projekt nicht umzusetzen“,
sagte er.
Die Lebensqualität auf dem Land sei sehr hoch, befand Stephan Grüger, sah aber einigen Nachholbedarf: „Wir müssen bauen, bauen, bauen“, sagte er mit Blick
auf die Infrastruktur. Es sei nicht damit getan, nur Schlaglöcher auszubessern, erklärte er und forderte das dritte Gleis für die Bahnstrecke durch
das Dilltal und das vierte zwischen Frankfurt und Gießen. Grüger machte aber auch darauf aufmerksam, dass gut ausgebaute Breitbandanschlüsse eine „Verkehrsvermeidungsstruktur“
darstellten. Auch wenn die A45 aufwändig sechsspurig ausgebaut werde – nur auf den Individualverkehr zu setzen, werde zu Problemen führen, machte Priska
Hinz, die Hessische Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, bewusst. Sie verwies auf Alternativen wie Heimarbeit
und Coworking-Spaces, um Arbeitsplätze in die Region zu holen und zugleich Verkehrsentlastung umzusetzen.
Für Publikumsfragen blieb leider nur wenig Zeit. Sie hatten unter anderem das Handyverbot an Schulen und die Anwohner-Straßenbeträge zum Inhalt. Nach dem
Kandidaten-Hearing äußerten sich die Besucher positiv: Es sei „gelebte Demokratie, so viele Meinungen und verschiedene Parteien nebeneinander“ zu erleben,
sagte ein Besucher. Ein anderer bedauerte, dass die Stellungnahmen der Kandidaten mitunter zu oberflächlich gewesen seien. Aber mehr sei in der Kürze
der Zeit nicht umzusetzen gewesen. Die Kandidaten hätten die Themen sehr diszipliniert beantwortet: „Unsere Erwartungen sind mehr als erfüllt“, erklärte
denn auch der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Lahn-Dill, Burghard Loewe.