Auf der Suche nach internationalen Fach- und Führungskräften hat die mittelhessische Wirtschaft einige Vorteile: Im Wettbewerb um das begehrte Humankapital punktet die Region mit interessanten Arbeitgebern, von denen einige Weltmarktführer in ihrem Segment sind, mit günstigem Wohnraum und hoher Lebensqualität. Vor einigen Jahren kam mit einem internationalen Schulangebot ein wichtiger Baustein hinzu, der vor allem für die langfristige Bindung von Fachkräften wichtig ist. Denn: „Man war daran interessiert, dass Familien hier wirklich eine Heimat finden“, sagt Björn Gemmer, Schulleiter der Marburger Steinmühle, deren internationaler Schulzweig nach mehrjähriger Vorbereitung 2019 an den Start ging. Doch um dem eigenen Anspruch als internationale Bildungseinrichtung gerecht zu werden, braucht das Projekt mehr Aufmerksamkeit – und vor allem mehr Nachfrage.
„Wir würden uns schon wünschen, dass wir noch mehr Schülerinnen und Schüler mit wirklich internationalem Hintergrund hätten“, sagt Gemmer. Gerade am Anfang hätten sich vor allem Familien auf die Schulplätze beworben, die zwar einen internationalen Hintergrund haben, aber deutsch verwurzelt sind, „weil die Schule im internationalen Kontext noch nicht so bekannt war“. Die Initiative für das Projekt ging 2012 von einem der großen internationalen Unternehmen in der Region aus: dem Marburger Pharmakonzern CSL Behring. „Es gab einige Mitarbeiter, die CSL Behring gerne anwerben wollte“, doch ohne englischsprachige Schule sei das schwierig gewesen, erzählt Gemmer. Nach dieser Initialzündung und vielen Gesprächen, nicht zuletzt mit dem Regionalmanagement Mittelhessen, führte der Weg über eine Planungsgruppe mit Unternehmen, Hochschulen und der Industrie- und Handelskammer zum erfolgreichen Antrag beim Staatlichen Schulamt.
Die internationale Schule Steinmühle aus der Luft (Foto: Internationale Schule)
Eine wichtige Grundlage dafür waren Vereinbarungen mit der Wirtschaft: „Die Unternehmen haben sich verpflichtet, diese Schulplätze auch dann zu finanzieren, wenn sie keine Schüler schicken“, sagt der Schulleiter. Für die Unternehmen und Institutionen wie die Universität in Marburg werden Plätze reserviert. Ein Partner sei später einvernehmlich aus dem Vertrag ausgestiegen, der Bedarf für die eigene Belegschaft sei offenbar überschätzt worden. Andere, wie die Universität Marburg, haben die freien Plätze an deutsche Familien vergeben, da es keine internationalen Bewerbungen gab. Es sei eine Herausforderung, die erforderlichen Klassenstärken zu erreichen, „wenn die internationalen Mitarbeiter und die internationalen Kinder mit englischsprachigem Hintergrund nicht da sind“.
Der Bedarf an einer internationalen Schule war für die Unternehmen offensichtlich: Expatriates mit schulpflichtigen Kindern seien früher entweder gar nicht in die Region gekommen oder aus dem Rhein-Main-Gebiet gependelt, wo es entsprechende Angebote gab, sagt Gemmer. Für die Unternehmen sei es aber wichtig, dass sich die Mitarbeiter auch mit der Region identifizieren, hier verwurzelt sind und eben nicht woanders sozial integriert werden, „denn wenn das alles in Frankfurt passiert, dann ist auch der Arbeitgeber irgendwann austauschbar“. Der Bedarf sei aber nicht so groß gewesen, wie ursprünglich von Unternehmen und Kammer kommuniziert, resümiert der Schulleiter. Über die Gründe könne man ohne fundierte Datenbasis nur spekulieren, aber vielleicht gebe es einfach weniger betroffene Familien mit Kindern im entscheidenden Alter, als die Initiatoren dachten.
Zu wenige Schülerinnen und Schüler können aber auch zu einem finanziellen Problem werden. Denn die Internationale Schule Steinmühle wird als staatlich anerkannte Ersatzschule vom Land Hessen gefördert, daher „gibt es eine Schulgeldobergrenze, die nicht überschritten werden darf“. Gleichzeitig sind die Kosten und auch das Schulgeld wegen des höheren Personaleinsatzes durch die Zweisprachigkeit höher als an einem deutschen Gymnasium. Wenn das Schulgeld niedrig bleiben soll, um Probleme mit der Schulaufsicht zu vermeiden, „brauchen wir wirklich 18 Schüler pro Klasse, idealerweise 20“, betont Gemmer.
Theresa Großer, Leiterin des internationalen Gymnasialzweigs, und Schulleiter Björn Gemmer (Foto: Internationale Schule)Die ungleichmäßige Nachfrage macht die Planung nicht einfacher, „das kann man überhaupt nicht vorhersehen“, sagt Theresa Großer, Leiterin des internationalen Gymnasialzweiges. Immerhin könne man am Bekanntheitsgrad arbeiten, „da ist noch Luft nach oben“. Großer macht auch deutlich, dass die Steinmühle nicht unbedingt für alle internationalen Schüler geeignet ist, etwa wenn Kinder weder mit Deutsch noch mit Englisch, den beiden Sprachen an der Schule, etwas anfangen können. „Das kann eine große Hürde sein.“ Schwankungen in der Nachfrage könnten auch mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängen, „das lässt sich nie wirklich vorhersagen“.
Diesen Herausforderungen wollen Björn Gemmer und Theresa Großer vor allem mit Eigeninitiative begegnen. Natürlich wünsche man sich mehr finanzielle Unterstützung, sagt Gemmer – in diesem Fall der Nutznießer, den Unternehmen der Region. Statt Forderungen zu stellen, will die Schule lieber am eigenen Profil arbeiten: „Bei uns geht es jetzt erst einmal darum, die Jahrgänge, die jetzt kommen, gut zu organisieren und als Schule zusammenzuwachsen“, sagt Großer. Dazu gehöre auch ein gutes Konzept für bilinguales Lernen in Deutsch und Englisch, denn „schließlich werden einige der Kinder hier das deutsche Abitur machen“. Vor allem aber gehe es darum, einen guten Lernort zu schaffen, „der die kulturelle Vielfalt einbezieht“.
Dazu will die Steinmühle in Zusammenarbeit mit der Freiwilligenagentur Marburg Kinder und Jugendliche außerhalb der Schule in Vereine und Organisationen einbinden, damit sie sich sozial und sportlich engagieren und so auch persönlich weiterentwickeln können. Und: „Wir sind mittlerweile Anbieter eines internationalen Awards“, erzählt Großer. Der Duke of Edinburgh Award wurde 1956 von Prinz Philip, Herzog von Edinburgh, ins Leben gerufen und wird in mehr als 130 Ländern angeboten. Er soll junge Menschen ermutigen, sich persönlichen Herausforderungen zu stellen und sich in den Bereichen Fitness, Freiwilligenarbeit, Fertigkeiten und Abenteuerreisen weiterzuentwickeln.
Da passt es gut, dass auch ein internationales Partnerprogramm aufgebaut werden soll, nachdem das deutsche Gymnasium bereits gute Erfahrungen mit Schüleraustauschen gemacht hat, unter anderem mit Frankreich, England, Spanien und Tansania, mit dem Marburg eine Städtepartnerschaft unterhält. „Wir wollen jetzt Round-Square-Schule werden“, sagt Gemmer. Das ist eine internationale Gemeinschaft von Schulen, „in der die Schüler dann untereinander für eine gewisse Zeit die Schulplätze tauschen können“.
Das würde nicht nur den internationalen Schülerinnen und Schülern noch mehr Möglichkeiten eröffnen, sondern auch die Region an ihrem Zielort bekannter machen.
Und das ist ja nicht nur für die heimische Wirtschaft eine gute Sache.