Manchmal sind Erfinder Ihrer Zeit voraus, zuweilen kommen Sie zu spät. Und einige sind mit ihrer Entwicklung genau zum richtigen
ZeitpunMakt am geeigneten Ort. Letzteres beschreibt treffend die Erfahrung von Dr. Klaus Schepers, Gründer und Geschäftsführer der Munditia Technologies GmbH (MUNDITECH): Der Diplom-Chemiker ist mit seinem Team vor fünf Jahren auf einen Wirkmechanismus gestoßen,
mit dem sich Oberflächen effektiv und nahezu permanent so sterilisieren lassen, dass unter anderem SARS-CoV-2-Erreger, auch bekannt als Corona-Viren,
kaum Überlebenschancen haben. Seit kurzer Zeit ist das Produkt marktreif und in Produktion – auch dank des Gründerzentrums Ab Idee OK! der Johannes Hübner Fabrik elektrischer Maschinen GmbH.
Natürlich trifft Schepers mit seiner Entwicklung in diesen Tagen auf einen hohen Bedarf: „Wir sind von der Nachfrage völlig überrannt worden“, sagt der
Forscher jetzt während eines Video-Interviews mit dem Regionalmanagement Mittelhessen. Im Moment kann das Unternehmen 1500 Tonnen im Jahr produzieren,
aber schon wird über Kapazitätserweiterungen nachgedacht. Die pflanzenbasierte Beschichtung, die sich wie Lack auftragen lässt, trägt den Marken-Namen
Mundex und ist in zwei Versionen auf Wasser- (Mundex W) und Lösemittel-Basis (Mundex L) erhältlich. Das effektivere Mundex-L tötet nach einer Stunde
95 Prozent und innerhalb von 8 Stunden 99,99 Prozent der betroffenen Erreger ab. Die Lösung auf Wasser-Basis wirkt etwas schwächer, erreicht das gleiche
Ziel aber nach 24 Stunden.
Wie einige geniale Erfindungen ist auch Mundex durch einen Zufall zustande gekommen. Schepers und seine Kollegen hatten eigentlich im Auftrag eines großen
Konzerns an Lösungen im Bereich Hygiene gearbeitet. „Wir haben verschiedene antimikrobielle Wirkstoffe ausgetestet, um Formulierungen zu entwickeln“,
sagt Schepers. Dabei kamen auch Formulierungen zum Einsatz, die eigentlich keinen Effekt erzielen sollten – was sie dann überraschend doch taten. „Das
war der Auslöser.“ Zunächst vermuteten die Wissenschaftler einen Messfehler. Doch dann verbrachten sie die nächsten Monate damit, „intensiver hinzuschauen“,
Tests zu wiederholen und den Wirkmechanismus aufzuklären – mit Erfolg.
Besagten Mechanismus beschreibt Schepers als „rein physikalisch beziehungsweise mechanisch“, ohne dass Wirkstoffe in die Umwelt abgegeben werden müssen.
Die Schwachstelle von Bakterien und so genannter umhüllter Viren wie auch SAR-CoV-19 ist ihre Zellmembran. Ist diese zerstört, stirbt auch der Erreger
– „wie bei einem Nagelbrett, auf dem ein Wasserballon landet“, wie es in einer Pressemitteilung von MUNDITECH heißt. Das bedeutet auch, dass Mundex
frei von Bioziden ist. Das Schutzmittel ersetzt zwar nicht die übliche Desinfektion, aber als „permanenter Hygienegrundschutz“ kann das Produkt dazu
beitragen, dass in Krankenhäuser, Arztpraxen und anderen öffentlichen Einrichtungen Türklinken, Handläufe und generell alles, was viel berührt wird,
nicht zu Erreger-Hotspots werden. Und es funktioniert auf nahezu allen Oberflächen von Metall bis Vliesstoff, wie das Unternehmen beschreibt – langanhaltend
und ohne, dass Viren und Bakterien Resistenzen entwickeln können.
Doch egal wie findig das Produkt ist, es muss auch produziert werden. An diesem Punkt kam das Gründerzentrum der Johannes Hübner Fabrik elektrischer Maschinen
GmbH, Ab Idee OK!, in Gießen ins Spiel. „Der wesentliche Vorteil war, dass hier Möglichkeiten bestehen in einer Halle, in der wir maschinell produzieren
können“, sagt Schepers. Zuvor hat das Startup im Technologie- und Innovationszentrum Gießen (TIG) zwei Jahre lang die mittlerweile patentgeschützte Formel entwickelt und optimiert. Der Kontakt zu Ab Idee OK! kam unter anderem mit Hilfe der Gießener
Wirtschaftsförderung und ihrer damaligen Leiterin Sabine Wilcken-Görich zustande. „Das war das Ergebnis klassischer Netzwerkarbeit“, sagt Florian Kern
von Ab Idee OK! im Interview.
2015 hat Hübner ein neues Verwaltungs- und Forschungsgebäude bezogen, „und wir hatten so gewisse räumliche Möglichkeiten parat“, sagt Kern. In den Räumen von Ab Idee OK! haben sich in den vergangenen Jahren Startups aus unterschiedlichen Branchen angesiedelt – darunter
Informations-Technologie, Online-Startups, aber auch ein weiteres Biotech-Unternehmen. „Wir sind ein bunter Mix“, beschreibt Kern das Gründerzentrum.
Dadurch ergäben sich Synergie-Möglichkeiten, aber auch „Sparrings-Partner, die einen bei der Unternehmens-Entwicklung beraten“, bestätigt Schepers.
Dankbar ist der Chemiker auch für die Unterstützung durch die Netzwerkarbeit von Institutionen wie das Regionalmanagement Mittelhessen oder die
hessische Wirtschaftsförderung HTAI (Hessen Trade & Invest GmbH) – nicht nur durch die Kontakt-Vermittlung, sondern auch, weil diese Zusammenarbeit
„ein gewisses Standing oder Glaubwürdigkeit nach außen“ verliehen habe.
Der Phase, in der ein Unternehmen um Anerkennung kämpfen muss, ist MUNDITECH nun wohl entwachsen: Jetzt geht es darum, der hohen Nachfrage mit einer steigenden
Produktion zu begegnen: „Die Produktionskapazitäten lassen sich schnell erweitern und die Rohstoffe sind in großen Mengen verfügbar, alle Signale der
Vorlieferanten sind trotz Corona-Krise positiv“, sagte Schepers kürzlich bei einem Gespräch mit dem Gießener Regierungspräsidenten und Vorsitzenden
des Vereins Mittelhessen Dr. Christoph Ullrich. Und auch Anfragen aus dem Ausland gebe es bereits, offenbar würde man Mundex dort gerne in Lizenz produzieren.