Von religiöser Vielfalt bis zur Bekämpfung von Viren: Die Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und die Philipps-Universität Marburg konnten in der aktuellen Runde des hessischen Exzellenzprogramms LOEWE (Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz) beeindruckende Erfolge erzielen. Die JLU ist an fünf Projekten und einem Zentrum beteiligt, während die Universität Marburg vier Projekte und ebenfalls ein Zentrum einwerben konnte.
Was ist das LOEWE-Programm?
Das LOEWE-Programm ist die Spitzenforschungsinitiative des Landes Hessen, die innovative Forschungsvorhaben mit Millionenbeträgen fördert. Dabei gibt es verschiedene Förderlinien: LOEWE-Zentren als größte Einheiten mit einer Förderung von bis zu 19 Millionen Euro, LOEWE-Schwerpunkte mit einer Förderung im mittleren Millionenbereich und die LOEWE-Exploration für risikoreiche, aber potenziell bahnbrechende Einzelprojekte.
Wie Menschen verschiedener Religionen besser zusammenleben können
Das größte Projekt, an dem beide mittelhessische Universitäten beteiligt sind, ist das neue LOEWE-Zentrum „DynaRel – Dynamiken des Religiösen“. Mit beeindruckenden 19 Millionen Euro Förderung erforscht es, wie Judentum, Christentum und Islam in unserer vielfältigen Gesellschaft friedlich zusammenleben können.
„Das neue LOEWE-Zentrum DynaRel greift eine der drängendsten Fragen unserer Zeit auf: Wie kann religiöse Vielfalt in unserer Gesellschaft produktiv gelebt werden?“, erklärt Prof. Dr. Thomas Nauss, Präsident der Philipps-Universität Marburg.
Die Wissenschaftler nutzen dabei das Konzept der „ambivalenten Nachbarschaft“ – ein Ansatz, der sowohl die Nähe und Vertrautheit zwischen den Religionen betrachtet als auch Phänomene der Distanz und Abgrenzung. Federführend ist zwar die Goethe-Universität Frankfurt, doch die JLU und die Universität Marburg bringen wertvolle Expertise ein.
Von der JLU sind Prof. Dr. Nicole Immig, die die griechische Migrationsgeschichte in Deutschland untersucht, und Prof. Dr. Naime Cakir-Mattner beteiligt, die zum Thema Antisemitismus und Islamfeindlichkeit forscht. Die Universität Marburg steuert Fachwissen aus vier verschiedenen Disziplinen bei – von der Soziologie bis zur Islamwissenschaft.
Neue Wege in der Medizin: Von Großen bis zu Mini-Lungen
Im LOEWE-Schwerpunkt „Lipid Space“ (4,3 Millionen Euro) untersuchen Forschende unter Beteiligung der JLU, welche Rolle Fette – Fachleute sprechen von Lipiden – bei der Entstehung von Krankheiten spielen. Obwohl viele wichtige Medikamente auf Lipide abzielen, ist ihre Vielfalt und Funktion bisher kaum verstanden.
„Die Forschenden vermuten, dass in der Vielfalt der Lipide weitere wichtige Zielstrukturen zur Behandlung wesentlicher Erkrankungen des Menschen verborgen sind“, heißt es in der Projektbeschreibung. Mit neuen Technologien sollen nun bisher unerreichbare „Lipidräume“ in Zellen und Geweben erkundet werden.
Ein faszinierendes Einzelprojekt an der JLU mit dem eingängigen Namen „BLOOM“ (287.000 Euro) beschäftigt sich mit der Entwicklung von „Mini-Lungen“ im Labor. Diese sogenannten Organoide könnten künftig helfen, Lungenkrankheiten besser zu verstehen und neue Behandlungen zu entwickeln. Das Besondere: Sie können aus patienteneigenen Zellen hergestellt werden und somit personalisierte Medizin ermöglichen.
Klimawandel im Fokus: Vom Umgang mit Dürre bis zu tropischen Viren
Der Klimawandel und seine Folgen sind ein weiteres wichtiges Forschungsfeld. Im LOEWE-Schwerpunkt „ADAPT“ (4,1 Millionen Euro) wird untersucht, ob gereinigtes Abwasser zur Bewässerung in Dürreperioden genutzt werden kann – eine Frage, die angesichts zunehmender Trockenheit auch in Deutschland immer relevanter wird.
„Durch die klimawandelbedingten Wetterextreme fällt der Hauptteil des Niederschlags als Starkregen in sehr kurzen Zeiträumen“, erklären die Forschenden. „Damit werden die Grundwasserspiegel nicht wieder aufgefüllt, sondern ein großer Teil des Niederschlags geht über die Oberflächengewässer verloren.“ Die JLU-Wissenschaftler untersuchen dabei besonders, welche Schadstoffe im Abwasser problematisch sein könnten und wie der Boden bei der Filterung hilft.
Ein weiteres Klimawandel-Thema greift das JLU-Projekt „Shaping Spherules“ (264.000 Euro) auf: Durch die Erwärmung breiten sich tropische Krankheiten wie das Chikungunyavirus, übertragen durch die Asiatische Tigermücke, auch in Deutschland aus. Das Projekt erforscht, wie das Virus Zellen manipuliert, um neue Ansatzpunkte für Therapien zu finden.
Gesellschaftliche Herausforderungen: Wenn Feminismus unter Beschuss gerät
Neben naturwissenschaftlichen Themen widmen sich die Forschenden auch gesellschaftlichen Fragen. Der LOEWE-Schwerpunkt „GenDem“ (3,6 Millionen Euro) unter Beteiligung beider mittelhessischer Universitäten untersucht, warum antifeministische Bewegungen entstehen und wie sie mit autoritären Tendenzen zusammenhängen.
„Aktuelle antifeministische Mobilisierungen sind keine spontanen Reaktionen auf gesellschaftlichen Wandel, sondern das Ergebnis gezielter Kampagnen und Angriffe“, erklären die Projektverantwortlichen. Diese richten sich gegen die Gleichstellung der Geschlechter, die Rechte von queeren Menschen und eine emanzipatorische Sexualpolitik. Das Projekt analysiert vergleichend und transnational solche Bewegungen in verschiedenen Ländern Ost- und Westeuropas sowie im Südkaukasus.
Marburger Erfolge in der LOEWE-Exploration: Mut zum Experiment
Die Philipps-Universität Marburg konnte besonders in der Förderlinie LOEWE-Exploration punkten, die risikoreiche, aber potenziell bahnbrechende Forschungsideen unterstützt. Gleich vier Projekte aus Marburg erhielten jeweils rund 280.000 bis 300.000 Euro für zwei Jahre.
Die Bandbreite ist beeindruckend: Prof. Dr. Ermin Malic erforscht neuartige Nanomaterialien für zukünftige Technologien, Prof. Dr. Gregor Witte und Prof. Dr. Marcel Reutzel arbeiten an der Kontrolle von Energieumwandlungsprozessen im molekularen Maßstab, Prof. Dr. Eva Friebertshäuser untersucht ein Schlüsselprotein für die Abwehr von Atemwegsviren, und Dr. Fanni Geibl-Henrich entwickelt neue Modelle für die Erforschung der Lewy-Körperchen-Demenz.
„Forschung braucht Freiheit, um wirklich Neues zu schaffen – und sie braucht auch Räume, in denen Scheitern als notwendiger Teil des wissenschaftlichen Prozesses verstanden wird“, betont Universitätspräsident Prof. Dr. Thomas Nauss. „LOEWE-Exploration ist deshalb ein wichtiges Instrument, um besonders kreative Ideen zum Fliegen zu bringen.“

LOEWE-Start-Professur erforscht die Entwicklung des menschlichen Gehirns
Ein weiterer bedeutender Erfolg für die Philipps-Universität Marburg ist die LOEWE-Start-Professur für Dr. Mareike Grotheer. Mit einer Fördersumme von rund zwei Millionen Euro für sechs Jahre wird die Psychologin erforschen, wie sich das menschliche Gehirn in der Kindheit und beim Erlernen neuer Fähigkeiten entwickelt. Ihre Arbeit ist auch Teil des erfolgreichen Exzellenzclusters „The Adaptive Mind“.
Dr. Grotheer untersucht die biologischen Grundlagen der einzigartigen menschlichen Lernfähigkeit. Dabei kombiniert sie modernste bildgebende Verfahren mit Verhaltensmessungen. In früheren Forschungen konnte sie bereits zeigen, dass Mathematik- und Lesefähigkeiten im Gehirn weitgehend parallel verarbeitet werden, und sie konnte Mechanismen aufdecken, die die Reifung des Gehirngewebes im Säuglingsalter steuern.
„Mit der LOEWE-Start-Professur für Dr. Mareike Grotheer stärken wir gezielt unser Forschungsprofil im Bereich der Bildungs- und Neurowissenschaften“, erklärt Universitätspräsident Prof. Dr. Thomas Nauss. Nach ihrem Studium der Biologie und Neurowissenschaften und ihrer Promotion in Psychologie forschte Dr. Grotheer an der renommierten Stanford University in den USA. Seit 2021 leitet sie das „Educational Neuroscience Lab“ an der Universität Marburg und konnte 2024 einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats einwerben.
Foto: Dr. Mareike Grotheer © Jan Bosch
Was die Förderung für Mittelhessen bedeutet
Die erfolgreichen LOEWE-Anträge unterstreichen die Forschungsstärke der mittelhessischen Universitäten. Sie bringen nicht nur Millionenbeträge in die Region, sondern stärken auch die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen und fördern die Ausbildung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
„Ich freue mich sehr über den erneuten Erfolg der JLU im LOEWE-Programm“, betont JLU-Präsidentin Prof. Dr. Katharina Lorenz. „Die Themenvielfalt der geförderten Projekte, darunter auch sozial- und geisteswissenschaftliche Vorhaben, zeigt einmal mehr sehr deutlich die wichtige Rolle der Universitäten für die Gesellschaft und ihre Zukunft.“
Von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung, von naturwissenschaftlichen bis zu gesellschaftlichen Fragen – die LOEWE-geförderten Projekte in Mittelhessen arbeiten an Lösungen für drängende Probleme unserer Zeit. Und sie zeigen, dass Wissenschaft nicht im Elfenbeinturm stattfindet, sondern mitten im Leben – mit direkter Relevanz für uns alle.