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Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich im Interview zur Europawahl über den Nutzen für die Region, das Europe-Direct-Informationszentrum und die Europawoche

Regionalmanagement Mittelhessen GmbH Gepostet von Regionalmanagement Mittelhessen GmbH in Aktuelles aus Mittelhessen 11 min. Lesezeit

Überzeugter Mittelhesse und EU-Bürger. „Ein offenes und klares Bekenntnis zu Europa ist wichtiger denn je“, sagt Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich im Interview zur Europawahl. (Foto: RP Gießen)Europa hat die Wahl. Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich spricht im Interview über den 26.
Mai, kritische Fliehkräfte und wie Straßenlaternen die EU im Mittelhessischen spürbar machen. Das macht er aus gutem Grund, schließlich ist er selbst
überzeugter Europäer und dazu der Hausherr über das Europe-Direct-Informationszentrum – kurz Edic genannt. Dieses befindet sich am Landgraf-Philipp-Platz
und bietet kostenfreie Informationen zum Thema EU.

Was bedeutet für Sie als EU-Bürger das Thema Europa?Christoph Ullrich: Frieden
und Freiheit – das ist es, was ich mit Europa zunächst verbinde. Für mich ist der europäische Gedanke eng verknüpft mit Gemeinschaft und gegenseitiger
Verantwortung. Das alles sind Werte, die gerade für viele junge Menschen selbstverständlich geworden sind. An zweiter Stelle steht Europa für wirtschaftliche
Sicherheit. Nur ein vereintes Europa kann ein Mitspieler auf den globalen Märkten sein in einer Welt, in der die vergleichsweise kleinen europäischen
Nationalstaaten alleine auf weiter Flur chancenlos wären. Ich bin überzeugt davon: Europa ist genauso wie die Selbstständigkeit als Bundesrepublik
unsere Zukunft, auch als Antwort auf die Vergangenheit.

Wie macht sich die EU für Ihr Regierungspräsidium spürbar, das als Mittelbehörde mit 1300 Beschäftigten für einen Bezirk über fünf Landkreise mit 101 Städte und Gemeinden und über eine Million Einwohner zuständig ist?Ullrich: Es ist tatsächlich nicht einfach, abstrakte Aspekte zu vermitteln wie Institutionen oder Gesetzgebungsverfahren, also alles, was nicht unmittelbar
spürbar ist. Viel einfacher wird es aber, wenn mir einen konkreten Ort suche. Nehmen wir Gießen, wo das RP seinen Hauptsitz hat. Hier hat etwa das 
Anwenderzentrum Medizintechnik auf dem Campus der Technischen Hochschule Mittelhessen rund vier Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung erhalten, kurz
EfrE genannt. Als Regierungspräsident sage ich da nur: Vielen Dank. Denn das fördert die Medizintechnikregion Mittelhessen und macht unsere Region
noch wettbewerbsfähiger. Auch in das Gießener Projekt „Innovative LED-Straßenbeleuchtung“ sind EfrE-Mittel geflossen. Dadurch wird Energie gespart und
die Stromrechnung sinkt für die Kommune und damit für die Bürgerinnen und Bürger spürbar.

Es gibt für den RP-Bezirk zwischen Limburg und Schlitz sowie Münchhausen und Hungen viele weitere Beispiele, die Initiativen vor Ort fördern, Naherholung
verbessern, die Traditionspflege und Gemeindeleben – kurz: den ländlichen Raum – stärken. Oder der Europäische Sozialfonds, der unter anderem lebenslanges
Lernen und eine bessere soziale Inklusion fördert und der Armut sowie Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit entgegenwirkt. Wir profitieren in Mittelhessen
mehr von Europa, als wir denken. Nicht nur das, noch viel wichtiger und leider völlig unterschätzt ist der Binnenmarkt für die Wirtschaftsregion Mittelhessen
mit ihren hochkarätigen Top-Unternehmen.

Nun weht dem europäischen Gedanken aktuell ein kräftiger, nationalistischer Wind entgegen. In Großbritannien ist ein wichtiger Mitgliedstaat dabei, sich aus dem EU-Kreis zu verabschieden. Was entgegnen Sie solchen Bestrebungen?Ullrich: Die verbindenden Werte wie Frieden und Freiheit haben unsere vorherigen Generationen teuer bezahlt. Es gilt darauf zu achten, dass sie vielleicht nicht
etwas zu selbstverständlich werden. Die Fliehkräfte sind tatsächlich kritisch. Nur ein starkes Parlament kann ein demokratisches Europa sicherstellen.
Von seiner Stärke hängt auch ab, wie wir die Zukunft Europas gestalten. Nur eine hohe Wahlbeteiligung kann den gewählten Repräsentanten die notwendige
Autorität an die Hand reichen, Mut zur Gestaltung zu haben. Das Klischee des machtlosen Parlaments stimmt mit der Realität einfach nicht überein.

Ein offenes und klares Bekenntnis zu Europa ist wichtiger denn je. Wir bewegen uns hier ja gerade in einem Spannungsfeld: Zum einen musste die Europäische
Union mit enormen Herausforderungen wie der Finanz-, Wirtschafts- und Flüchtlingskrise umgehen. Andererseits ist da eine als bürgerfern wahrgenommene
Politik. Der Rückzug auf nationale Ansätze ist fatal, wie das Brexit-Desaster zeigt.

Die Unterzeichnung der Römischen Verträge vor über 60 Jahren hat uns ein Europa ermöglicht, wie wir es heute kennen. Aus erbitterten Feinden wurden Nachbarn,
wir können frei und überall hinreisen und junge Menschen studieren in ganz Europa. Diese großen Errungenschaften sollten wir immer wieder gebührend
feiern, und sei es nur mit unserer Wahlbeteiligung.

Ihre Behörde ist viele Aufgaben zuständig, darunter die Erstaufnahme von Flüchtlingen, die Genehmigung von Windkraftanlagen oder auch den Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz. Das Thema Europa erleben die Menschen eher in der Tagesschau oder im Urlaub – was hat das Regierungspräsidium eigentlich damit zu tun?Ullrich: Wir haben seit Jahren ein Europe-Direct-
Informationszentrum – kurz Edic genannt – in unserer Verwaltung. Das befindet sich am Landgraf-Philipp-Platz und kann von allen Bürgerinnen und Bürgern
zu unseren Öffnungszeiten besucht werden. Wer sich hier mit Broschüren und anderem Material für den Unterricht oder auch aus persönlichem Interesse
kostenlos eindeckt, wird feststellen, wie tief der europäische Gedanke unseren Alltag und unser Leben durchdrungen hat – im besten Sinne.

Damit sind wir Teil eines Kommunikationsnetzwerks der Europäischen Kommission mit über 500 Büros in allen EU-Mitgliedsstaaten. Die Edics informieren und
beraten zu Politik, Struktur und Förderprogrammen der EU und dienen als direkter Ansprechpartner für europäische Themen in der Region. Damit können
wir in Mittelhessen neben Kommunen auch Vereine, Verbände, Bildungseinrichtungen und Unternehmen unterstützen.

Aber auch im eigentlichen Geschäftsbereich des Regierungspräsidiums beschäftigen wir uns tagtäglich mit Europa, indem wir etwa europäische Richtlinien
im Umweltbereich umsetzen, EU-Förderprogramme in der landwirtschaftlichen Forschung abwickeln oder bei der Flüchtlingserstaufnahme europäische Abkommen
und internationale Entwicklungen beachten. Wir haben zwar in erster Linie Verantwortung für den Regierungsbezirk Mittelhessen, aber an Europa geht
kein Weg mehr vorbei. Und schließlich haben wir den Anspruch, mittendrin statt nur dabei zu sein.

Wenn Sie diesen Anspruch formulieren: Wie sehen denn die nächsten mittelhessischen Europa-Aktivitäten aus?Ullrich: Meine persönlichen Aktivitäten sehen wie folgt aus: Ich nutze derzeit jede Gelegenheit, um in meinen Reden und Grußworten für Europa zu werben. Vor
allem im Hinblick auf die Europawahl bieten wir mit dem Edic Veranstaltungen zu verschiedenen europäischen Themen an. Wir wollen einen bürgernahen
Zugang zu Europa – von einem Infostand zu unserem Edic auf dem Gießener Kirchenplatz mit der Europa-Ministerin Lucia Puttrich am Samstag um 12 Uhr,
über Bürgerprojekte aus dem Leader-Programm bis zu der Frage „Warum Europa?“, die wir im Wetzlarer Forum mit Mark Weinmeister, dem hessischen Staatssekretär
für Europaangelegenheiten, am 9. Mai um 16:30 Uhr klären wollen. Seien Sie in der Europawoche unser Gast und erleben Sie Europa einmal auf andere Art
und Weise.

Alle Informationen zu den Veranstaltungen sind auf der Internetseite unter www.rp-giessen.hessen.de/events zu finden. Bei Interesse genügt eine formlose Nachricht an die Mail-Adresse eu-infozentrum@rpgi.hessen.de.