Digitalisierung und Innovation gehen oft Hand in Hand. Beim ersten Innovationsforum
Mittelhessen am 12.02.2020 sprachen Hans Christian Boos, Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung, und Matthias Gohl, Leiter des Digitalisierungs-Kompetenzzentrums
„digital Innovation Partners“ der Zeiss Gruppe, über die Chancen der Digitalisierung für Mittelhessen und Europa. Wir haben die wichtigsten Thesen
und Aussagen zusammengefasst.
Hans Christian Boos: Wie sich KI auf uns alle auswirkt und was es zu tun gibt
“Mithilfe von KI stärken wir das Potenzial von Menschen und schaffen Freiräume für Kreativität und innovatives Denken.”
Die Welt entwickelt sich stetig weiter. Das bedeutet auch, dass sich unsere Produkte, unsere Geschäftsmodelle und unsere Dienstleistungen stetig weiterentwickeln
müssen. Digitalisierung und KI können uns ein vollkommen neues Wirtschaftssystem ermöglichen – doch das geht nur durch Innovation. Die größte Herausforderung
für Unternehmen ist es, die Freiräume dafür zu schaffen. Innovation kann man nicht auf Knopfdruck machen, man kann sie nicht befehlen und man kann
nicht sagen, dass man jetzt drei Innovationen pro Tag oder pro Jahr entwerfen will. Dafür benötigt man Freiräume. Viele Branchen stehen permanent unter
Druck und Effizienz spielt eine entscheidende Rolle, um wirtschaftlich zu bleiben. Doch auch hier muss man sich die Zeit für Innovationen mühsam abzweigen.
Dies ist essentiell wichtig und der einzige Weg, um dauerhaft konkurrenzfähig zu bleiben.
Zudem müssen wir uns von der Vorstellung befreien, dass man Innovation „erfolgreich betreiben“ kann. Auch die Ideen vom „Innovationsprozess“ oder „Innovationsmanagement“
sind falsche Trugschlüsse. Denn Innovation passiert dann, wenn man seine besten Leute hat und ihnen die Freiheit und Zeit gibt um herauszufinden, was
man verbessern kann. Das ist das Entscheidende. Dazu gehört zum einen, dass man Technologien einsetzt wie z.B. Künstliche Intelligenz. Zum anderen
muss es aber auch erlaubt sein, Dinge zu hinterfragen, die gesetzt sind und die man schon immer so macht. Der Wille zur Innovation und Neugestaltung
darf nicht von Vorneherein in Frage gestellt werden. Bei der Innovation geht es darum, sich zu trauen, die gegebenen Werkzeuge einzusetzen, auch wenn
dabei Risiken bestehen. Nur so kann man vorankommen.
Meine drei Kernthesen sind also:
Wenn wir gar nichts in Richtung Innovation tun, sind wir im Eimer. In vielen Regionen hat die Umstellung auf neue Wirtschaftssysteme schon begonnen
– nun heißt es mitziehen oder ins Hintertreffen geraten.
Digitalisierung bzw. Technologie ist die Lösung. Sie kann uns davor bewahren.
Digitalisierung nimmt uns Arbeit ab, die ohnehin nicht besonders menschlich ist. Das erlaubt es uns, uns wieder vermehrt auf die Menschlichkeit zu
fokussieren. Das bringt uns in Deutschland ein Alleinstellungsmerkmal in der Welt.
Matthias Gohl: Wie ein großer Mittelständler die Digitalisierung erfolgreich treibt und meistert
“Die Digitalisierung wirkt wie eine Naturgewalt und wird uns alle betreffen – wir müssen lernen uns anzupassen und uns zu verändern.”
Wir bei Zeiss sind davon überzeugt: Innovation ist unsere Zukunft, die Zukunft von Deutschland, von Europa. Sie führt dazu, dass wir bessere Lösungen an
unsere Kunden bringen können. Sie führt aber auch dazu, dass wir dauerhaft unsere Arbeitsplätze sichern können. Mit Innovationen bringen wir neue Themen
und Produkte zum Kunden und können sogar neue Märkte erschließen, an die wir vorher gar nicht gedacht haben. Wir unterscheiden zwei Arten von Innovation:
Es gibt zum einen nachhaltige Innovationen, die auf der Verbesserung von bereits bestehenden Produkten und Dienstleistungen basieren. Zum anderen gibt
es disruptive Innovationen, die etwas fundamental neues darstellen. Beides müssen wir vorantreiben, um dauerhaft im Wettbewerb vorne zu bleiben. Und
dieser Wettbewerb ist nicht auf die Region Mittelhessen beschränkt, sondern findet deutschlandweit statt, in ganz Europa, den USA und China. Wir müssen
für den Kunden konstant Innovationen entwickeln, denn nur wenn sie beim Kunden ankommt, ist sie erfolgreich und gewinnbringend.
Innovation ist eine Herausforderung für alle: für Universitäten, für mittelständische Unternehmen und für Großunternehmen. Wichtig ist, dass wir die
Gelder und Innovationskraft gezielt einsetzen. Zum einen muss es genug Freiheit für Entwicklung geben, ansonsten kann keine Innovation entstehen. Zum
anderen muss fokussiert gearbeitet werden. Es gibt gewisse Felder, wo wir von Zeiss aufgrund unserer Erfahrung und Expertise besonders viel Innovationspotenzial
sehen: Digitalisierung, Medizin- und Messtechnik, Mikroskopie und die Brillenglassparte. Hier gilt es zu innovieren und mutig voranzugehen. Es geht
auch immer darum, mit der Zeit zu gehen und in den richtigen Ökosystemen zu arbeiten. Nicht nur im eigenen kleinen Umkreis, sondern im System mit Universitäten
hier in Mittelhessen, aber auch in Karlsruhe, Dresden oder München. Wir müssen im Ökosystem Innovationen vorantreiben, entwickeln, in den Markt bringen
und skalieren.
Eine Innovation ist noch nicht erfolgreich, wenn sie nur in den Köpfen den Menschen existiert. Die Zeit des alleine arbeitenden, brillanten Menschen weitgehend
vorbei. Wir müssen in Teams zusammen arbeiten, um verschiedene Fachrichtungen und Funktionen zusammenzubringen. Die können vom eigenen Unternehmen,
aber auch von anderen Partnern und Universitäten stammen. Außerdem muss das Management die Mitarbeiter unterstützen, damit sie die Kraft haben, etwas
zu bewegen. Innovation bedarf der ganzen Aufmerksamkeit und kann nicht nur nebenher betrieben werden. Im Bereich Digitalisierung heißt das, ergänzende
komplementäre Kompetenzen aufzubauen: Wir brauchen Leute, die Software entwickeln können, die Design verstehen, die Machine Learning verstehen. Und
wir brauchen auch Leute, die es auf den Markt bringen. Die Cross-Funktionalität sicherzustellen, den Leuten die Kraft und den Freiraum zu geben, aber
auch eine grobe Richtung vorzugeben – all das sind Dinge, die man beachten sollte.
Für mich sind die drei wichtigsten Themen, um Chancen zu nutzen und digitale Transformation voranzutreiben:
Wir müssen Digitalisierung als Chance begreifen. Wir haben viele Kompetenzen in Deutschland, in Europa und im Mittelstand, eine Menge Know-How über
Prozesse und Kundenbedürfnisse. Das müssen als Basis zu nutzen und mit digitalen Kompetenzen ergänzen. Digitalisierung ist in Summe eine große
Chance.
Digitalisierung agiert wie eine horizontale Naturgewalt. Ende zu Ende. Es betrifft alle Systeme, alle Funktionen im Unternehmen. Es betrifft alle Menschen
im Unternehmen, nicht nur den Sales oder den Service. Wir müssen horizontal darüber nachdenken und uns alle weiterentwickeln. Digitalisierung ist
deutlich mehr als Technologie. Es geht um ein Mindset. Das ist ein Kulturwandel, den wir angehen müssen. Die Welt verändert sich, also müssen wir
uns verändern.
Digitalisierung kann man nicht im Internet kaufen. Wir als Unternehmen müssen sie selber verstehen und treiben. Was sind die Prioritäten für uns? Wie
treiben wir das voran? Man kann es nicht an einen großen amerikanischen oder chinesischen Player abgeben, man kann es nicht an einen Berater alleine
abgeben. Wir müssen selber daran arbeiten und damit wachsen.