Es wehte ein Hauch von Kalifornien durch den Saal des Gießener Restaurants Heyligenstaedt an diesem Mai-Wochenende. Dem Raum haftete der Geruch durchgemachter
Nächte vor dem Rechner, schnellen Essens und vieler Latte Macchiato an. Außen brütete die Sonne, während zehn Teams einer Jury möglichst kurz und knackig
ihre Geschäftsideen vortragen sollten – beim ersten Startup Weekend Mittelhessen. Am Ende gewannen eine neuartige Plattform zur Mitarbeiterbefragung
(beste Idee), ein Keks für vegane Schwangere (beste Idee in der Kategorie Life Science) und eine Website zum Vertrieb von Newcomer-Design (bester Pitch).
Und die Region Mittelhessen – nämlich eine Menge Profil (und einen Pitch dazu gab es auch).
Wer erinnert sich noch an die TV-Reihe „Heimat – Eine deutsche Chronik“ von Edgar Reitz? An Anton, der aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft zu Fuß
in sein Hunsrücker Dorf Schabbach zurückkehrte – den Kopf voller Patent-Ideen für seine optische Fabrik? Es gibt ähnliche Geschichten real in Mittelhessen
– vielleicht ohne den kontinentalen Fußmarsch und das Kriegsdrama, aber eben Geschichten von Machern und Gründern unserer „Hidden Champions“ zu einer
Zeit, als in Kalifornien die Weinreben noch gewinnträchtiger sprießten als die Erfinder-Ideen. Das ist heute anders, aber warum eigentlich? Das hat
sich wohl auch Martin Lacroix gefragt.
Lacroix initiierte jedenfalls das Startup-Weekend Mittelhessen. Die Folge: „Harte Arbeit und wenig
Schlaf“, wie er diesem Sonntag am Anfang der Schluss-Präsentation sagte. In kurzer Zeit sei „extrem heiß gekocht“ worden, sagte er außerdem. Gemeint
war die Arbeit der rund 60 Startup-Planer, die sich mehrere Tage in Räumen einige hundert Meter oberhalb von Heyligenstaedt, der ehemaligen Industrie-Ikone
und heutigem Denkmal mit Gastronomie, nämlich in der Lück Akademie in den Alten Brauereihöfen im Leihgesterner Weg vergraben hatten – nicht weit vom
naturwissenschaftlichen Campus der Gießener Uni übrigens. Man sieht, das Ganze atmete in etwa eine Mischung aus deutscher Industrie-Kultur und dem
Stanford-University-Spirit, den Geist, den Facebook-Gründer und Apple-Gurus inhalierten.
Nun: Auch, wenn es bis zu kalifornischen Verhältnissen in Mittelhessen vielleicht noch ein weiter Weg sein mag, waren die präsentierten Startup-Ideen bemerkenswert
– sowohl in der Qualität wie auch in der Quantität. Das bestätigte auch Mario Hachemer, „treibende Kraft der Startup-Szene des Rhein-Main-Gebiets“,
wie es auf der Website heißt, der als Mentor nach Gießen gekommen
war. Bei naturgemäß deutlich weniger Teilnehmern als in Frankfurt habe es in Mittelhessen ebenso viele Projekte wie in Rhein-Main gegeben, „eine extreme
Ratio“, wie Hachemer meinte. 26 Präsentationen, oder neudeutsch Pitches kamen heraus, eingangs erwähnte zehn schafften es in die letzte Runde.
Auch das Regionalmanagement Mittelhessen stand im Übrigen mit der Person von Geschäftsführer Jens Ihle den Organisatoren mit „Rat und Tat“ zur Seite. Zum
Dank durfte Ihle einen Pitch außerhalb der Konkurrenz machen. Und welches innovative Produkt „pitchte“ er? Die Region Mittelhessen natürlich – inklusive
ihrem Marken-Claim „Wo Wissen Werte schafft“. Nebenbei: Sah man diesen Vortrag rund um die Marke Mittelhessen, fällt es nicht mehr so schwer zu verstehen,
für was sich das Regionalmanagement Mittelhessen eigentlich so engagiert.
Noch ein Nachtrag zu den Teilnehmern. Die Ideen waren vielfältig: Zwei Food-Ideen waren darunter, bei denen es im Großen und Ganzen darum ging, Menschen
mit wenig Zeit das Kochen abzunehmen, eine Plattform für Bioprodukte, eine andere zur Vermittlung studentischer Übersetzer (vor allem des Arabischen).
Ein Team hatte die Idee, Roboter zu verleihen, die Kurierdienste in Betrieben übernehmen können. Hoch ambitioniert will eine andere Gruppe eine einfach
zu bedienende Vertriebsplattform für Daten aller Art schaffen.
Mir persönlich hat übrigens der „Freety Guide“ am besten gefallen. Eine Tourismus-App, die einem automatisch Infos zu interessanten Orten gibt, wenn man
mit der Bahn, dem Bus, dem Taxi oder zu Fuß daran vorbeikommt. Außerdem kann ich damit meine persönlichen Lieblings-Orte abspeichern und später wiederkommen
– definitiv ein guter Weg, mal neue Städte ohne schnellsprechenden Touristen-Führer kennen zu lernen. Perfekt also für den Städtereisenden oder „Urban
Explorer“, um im Jargon zu bleiben. Die App würde ich kaufen. Sofort.