Mehr als 150 Bürger*innen sind zum „Tag der offenen Baustelle“ an die Gisselberger Spannweite gekommen, um
sich selbst von den groß angelegten Renaturierungsarbeiten an der Lahn südlich von Marburg ein Bild zu machen. In mehreren Führungen erläuterten Experten
die Maßnahmen, die den Fluss wieder naturnah gestalten sollen und so der Artenvielfalt dienen.
Nach der Idee der Unteren Naturschutzbehörde wird der Lahn seit August bis voraussichtlich November zwischen Gisselberg, Cappel und Ronhausen auf einer
Länge von 1,5 Kilometern ein neues Bett gegeben – verbunden mit Gestaltungsmaßnahmen, die zahlreichen Tieren weitere Lebensräume bieten. Außerdem tragen
die entstehenden Rinnen und Senken zum Hochwasserschutz bei: als Auffangbecken für plötzlich große Wassermengen bei Überflutungen und in trockenen
Jahren für die Wasserhaltung.
Projektkoordinatorin Ortrud Simon begrüßte die Gäste und stellte exemplarisch fünf Tierarten vor, die von der Renaturierung nachhaltig profitieren werden.
Das ist zum einen die Barbe, der im Marburger Bereich häufigste und gleichzeitig bedrohte Fisch. Der Flussregenpfeifer könne für sein Gelege von Kiesbänken
profitieren und der Eisvogel von den gegenüberliegenden Steilflächen. Weitere Profiteure, so Simon, seien beispielsweise die Kreuzkröte und der Dunkle
Wiesenknopf-Ameisenbläuling, ein Tagfalter.
Eine kurze Einführung gab Herbert Diehl vom Regierungspräsidium Gießen. Die Lahn sei in diesem Bereich bei
Gisselberg derzeit beim Bestand der Kleinstlebewesen nur als mäßig einzustufen, bei den Fischen gar unbefriedigend. Und das hänge nicht an der Wasserqualität,
die sei durch immer bessere Kläranlagen gut, sondern an ihrem „von Menschen gemachten Zustand“. Eine Vielzahl von Renaturierungsmaßnahmen habe nun
das Ziel, einen guten ökologischen Zustand zu erzielen und zahlreichen Tieren, aber auch Pflanzen, mehr Lebensraum zu geben.
Zusammen mit Geschäftsführer Thomas Schmidt und Planer Daniel Floride von der Gesellschaft für Wasserwirtschaft, Gewässerökologie und Umweltplanung in
Kassel führte Diehl anschließend die Besucher*innen in Gruppen über die Baustelle und erläuterte die in großen Teilen bereits abgeschlossenen Arbeiten.
So erfuhren die Interessierten, dass Seitenarme geschaffen wurden, um die Fließgeschwindigkeit zu verringern. Kiesflächen und Steilhänge entstanden
so. „Aber wir wollen den Fluss nicht weiter gestalten, er soll sich selber sein Bett suchen, denn die Natur kann das besser“, sagte Diehl.
Ein Arm ist eine so genannte Hochflutmulde, über die nur bei Hochwasser Wasser fließt. Mit dem bei den Baggerarbeiten freigelegten Ton werden dort kleinere
Mulden geschaffen, in denen sich nach Abfluss noch längere Zeit Wasser befindet, in dem Amphibien laichen können. In die Lahn soll laut Auskunft der
Experten zusätzlich noch Totholz eingebracht werden, auch das sei Lebensraum für viele Arten und beeinflusse Fließgeschwindigkeit und Fließrichtung.
Die Baumaßnahme ist Teil des EU-LIFE-Projektes „Living Lahn – ein Fluss, viele Ansprüche“.
Die Finanzierung wird ermöglicht aus Mitteln des LIFE-Projekts sowie Geldern aus der hessischen Fischerei-Abgabe und aus dem Integrierten Klimaschutzplan
2025. Die Stadt Marburg begleitet gemeinsam mit dem Regierungspräsidium Gießen die Bauarbeiten.