Am Montag den 27.02.2017 um 20:00 Uhr findet der erste Poetry Slam im KINOPOLIS in Gießen statt. Einen Slam dieser Art hat die Region Mittelhessen noch nicht gesehen – gepflegte Extravaganz, organisierter Unsinn, sowie das beste Popcorn
der Stadt werden garantiert. Sechs Künstlerinnen und Künstler bieten an diesem Abend eine Show der Poesie, des flachen Kalauers und der unverständlichen
Kurzgeschichten. Mit dabei sind Letitia Wahl (Marburg), Jan Schmidt (Siegen), Marten de Wall (Gießen), Finn Holitzka (Offenbach), Ann-Christin Wahlen
(Frankfurt), Jan Cönig (Frankfurt) und als Special Guest Marvin Ruppert. Er ist doppelter Hessenmeister im Poetry Slam (2009 & 2012) und studierender
Fotograf in Köln. Bekannt wurde er vor allem durch die Gießener Lesebühne „Wal fällt auf Boot“. In gewohnter Manier kann das Publikum die Darbietungen
bewerten und bestimmt die Siegerin oder den Sieger. Moderiert wird das Event von Stefan Dörsing, Poetry Slam Vize-Meister im Team (2011 & 2012),
Martha-Saalfeld-Förderpreis Träger 2015 und Veranstalter des Hessenslam 2016.
Wir wollten mehr über die Poetry-Slam Szene in Mittelhessen erfahren und haben vier spannende Fragen an Stefan Dörsing gestellt:
Stefan, wie lebendig ist die Poetry Slam Szene in Mittelhessen
Sie ist mega lebendig! Mal abgesehen davon, dass die hessische Poetry-Slam-Landesmeisterschaft schon zweimal in Marburg und zweimal in Gießen veranstaltet
wurde, gibt es hier eine große Anzahl an qualitativ guten Veranstaltungen. Außerdem wohnen hier in der Region einige der besten Slammer Deutschlands,
zum Beispiel Dominique Macri (Marburg) und Dalibor (Frankfurt), die 2014 deutschsprachiger Meister im Poetry Slam in der Kategorie Team wurden. Marvin
Ruppert, der jahrelang in Marburg gewohnt hat und mit der hessischen Slamszene immer noch tief verwurzelt ist, wurde dreimal hessischer Meister. Außerdem
organisiert er die Gießener Lesebühne „Wal fällt auf Boot“ im Ulenspigel. Nicht
zu vergessen Lars Ruppel, der im Marburger Kulturzentrum veranstaltet, konnte mehrere Einzel-
und Teammeister Titel gewinnen oder auch ich, der zwei Vize-Meister Titel auf deutschsprachigen Meisterschaften erzielen konnte. Mittelhessen ist quasi
das Mekka der Poetry Slam Szene Hessens.
Wie kommt man denn überhaupt zum Poetry Slam?
Ich habe Poetry Slam vor 13 Jahren kennen und lieben gelernt. Als
ich 16 Jahre alt war, hatte ich zu viel Zeit und wenig Interesse an der Schule. Dafür hatte ich aber viele Freunde, die meine kreative Leidenschaft,
das Schreiben, teilten. Wir haben uns dann immer während des Unterrichts Geschichten ausgedacht. Manchmal haben wir auch Raptexte geschrieben. Ein
Freund hat dann eines Tages einen Flyer im Seltersweg in Gießen vom damaligen „Jazz Poetry Slam“ in die Hand gedrückt bekommen. Das war 2004 und auf
dem Flyer stand, dass man einfach auftreten könne. Jetzt schrieben wir nicht mehr nur aus reiner Langeweile, jetzt schrieben wir für eine Bühne. Mit
Publikum. Was Besseres konnte ich mir zu dem Zeitpunkt nicht vorstellen. Wir haben dann für jede Veranstaltung neue Texte geschrieben und sind aufgetreten.
Manchmal haben wir auch Texte zu zweit oder zu dritt vorgetragen. Quasi als Team. Das war unser Hobby. Und jetzt ist aus diesem Hobby mein Beruf geworden.
Welche Wünsche hast Du an die Kulturregion Mittelhessen?
Ich finde, dass in unserer Kulturregion die lokale Szene zu wenig supportet wird. Ich selber habe eine lange Zeit in Wetzlar in einem soziokulturellen
Zentrum Slams veranstaltet. Diese Einrichtungen erhalten Fördergelder für Kulturprojekte. Oft war es der Fall, dass diese Fördergelder für Bands, Kunst-
und Kulturprojekte aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland ausgegeben wurden, was prinzipiell auch in Ordnung ist. Wenn allerdings das Verhältnis
der Geld-Verteilung zu lokalen Projekten deutlich im Ungleichgewicht ist, dann finde ich das persönlich nicht richtig. Eine Veranstaltung wie Poetry Slam Champions 3, die ich zuletzt in der Kongresshalle organisiert habe, benötigt immer eine sehr große Portion Eigeninitiative
und birgt ein großes finanzielles Risiko, da ich als Privat Person veranstalte und hafte. Unterstützung gibt es da wenig bis gar nicht. Ich bin also
dafür, die lokale Szene deutlich zu stärken, sie vor allem mehr in den Vordergrund zu rücken. Es gibt eine Vielzahl an guten Musikern, Fotografen,
Malern usw., die es schwierig haben einen Raum für ihre Kunst zu finden. Einige davon sind meine besten Freunde. Wenn ich damals keine Bühne für meine
Texte gehabt hätte, wer weiß, ob ich heute noch auf der Bühne stehen würde.
Was bedeutet Mittelhessen für Dich?
Mittelhessen ist für mich in erster Linie eine Region mit großen
Potenzial, das bisher nur im Ansatz ausgeschöpft wurde. Allein die geografische Lage ist fantastisch. Immer mehr Unternehmen wollen nach Mittelhessen
– wie jetzt zum Beispiel IKEA. Die Gießener Hochschulen zählen zu den modernsten und besten Deutschlands, auch wenn ich mein Studium an der Justus-Liebig-Universität nicht abgeschlossen habe. Die Kombination aus verträumten mittelgroßen Städten mit Altbau, wie in Marburg
oder Gießen, und die Nähe zur moderner Großstadt Frankfurt, bietet alle Möglichkeiten. Mittelhessen ist für mich aber auch der Geschmack von hausgemachter
Woscht und Apfelwein. Mittelhessen bedeutet für mich vor allem Herzlichkeit und Willkommen geheißen zu sein. Als ich 1995 als kleiner Junge mit meiner
alleinerziehenden Mutter nach Mittelhessen kam, wurden wir fantastisch aufgenommen. Seitdem bin ich Mittelhesse. Nicht nur von meiner geografischen
Verortung, sondern vor allem vom Gefühl her. Das hier ist meine Heimat geworden.