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Von einer Superintelligenz ist die Welt weit entfernt

Regionalmanagement Mittelhessen GmbH Gepostet von Regionalmanagement Mittelhessen GmbH in Aktuelles aus Mittelhessen 11 min. Lesezeit

Der Supercomputer Hal 9000 aus „Odyssee im Weltraum“ wird noch lange Zeit Science-Fiction bleiben, doch künstliche Intelligenz (KI) ist längst in vielen Bereichen unseres Alltags angekommen. Der Trendtechnologie hat StudiumPlus, das duale Studienprogramm der Technischen Hochschule Mittelhessen und des CompetenceCenters Duale Hochschulstudien, eine Vortragsreihe mit Studiengangsleiter Prof. Dr. Michael Guckert gewidmet. Im Gespräch erklärt der Experte, wie intelligent KI wirklich ist, wo sie dem Menschen helfen kann und wo sie auch in Zukunft an ihre Grenzen stoßen wird.

Herr Prof. Guckert, für viele Menschen ist künstliche Intelligenz nach wie vor ein Rätsel. Manche sehen darin eine Bedrohung. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff?

Michael Guckert: Künstliche Intelligenz hat mehrere Facetten. Seit einigen Jahren versteht man unter KI Algorithmen, die aus (bewerteten) Daten Schlüsse ziehen und daraus Verallgemeinerungen ableiten, so dass Vorhersagen getroffen werden können. Ein Beispiel: Ich trainiere eine KI, sodass sie Verkehrsschilder erkennen und den Fahrer im Auto warnen kann. Programmiert wird ein Algorithmus, der sich trainieren lässt – vergleichbar mit einem Konditionierungsprozess. Man gibt dem System Bilder und bringt ihm bei: Dieses Bild ist ein Stoppschild, dieses Bild ist ein Vorfahrtsschild und so weiter. Anschließend ist der Algorithmus in der Lage, die Schilder anhand der Trainingsdaten zu erkennen. Man könnte diesen Algorithmus auch auf Gesichtserkennung oder auf das Erkennen von Tumoren auf MRT-Aufnahmen trainieren. Der Algorithmus kann sowohl klassifizieren als auch dafür genutzt werden, Werte vorherzusagen. Genauso ist es möglich, Texte zu übersetzen oder zu klassifizieren und deren Inhalte zu bewerten.

Unbehagen bereitet Menschen vor allem die Form der starken KI, bei der eine Maschine oder ein Computer ein Eigenleben führt. Wie realistisch ist das?

Bei der schwachen KI handelt es sich um spezifisch trainierte Programme, die bestimmte Aufgaben erfüllen können. Das können sie in manchen Fällen besser als der Mensch, vor allem, wenn es um Bilderkennung und ähnliche Aufgaben geht, weil die KI genauer hinguckt. Eine starke KI geht weit darüber hinaus, sie setzt selbst ihre eigenen Ziele und folgt diesen. Der Definition zufolge übertrifft die starke KI die intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen, es wäre eine Superintelligenz. Die gibt es noch nicht und ich glaube auch nicht, dass es sie geben wird. Zwar könnte eine KI schon heute ein Eigenleben führen, aber nicht aus bösem Willen, sondern weil man sie dafür trainiert hat. Sie kann immer nur das, wofür sie trainiert wurde. Für gewisse Dinge braucht man Fähigkeiten wie Empathie, die man einem Computer – zumindest auf Sicht – noch nicht beibringen kann.

Viele Unternehmen wähnen sich in Sachen Digitalisierung auf einem guten Weg. Fragt man aber nach dem Einsatz von KI, wird eher Zurückhaltung deutlich. Woran liegt das?

Es wird bereits mehr KI benutzt, als uns bewusst ist. Wenn man KI ganz weit fasst, gehört schon ein Tourenplanungssystem zur KI, das einen optimale Tour von A nach B festlegt. Auch in Smartphones und der Alexa-Software befindet sich mit Spracherkennung im weitesten Sinne KI. Oder auch das Navigationssystem im Auto nutzt Elemente aus der KI. In Unternehmen verfügt man oftmals über viele Daten, weiß aber noch nicht, wie man diese nutzen kann, was davon relevant ist und was nicht. Das Zusammenbauen eines neuronalen Netzes ist das eine. Viel schwieriger aber ist es, die Daten aufzubereiten und in einen Zustand zu bringen, dass sie sich tatsächlich einsetzen lassen. Es nutzt nichts, dass eine Technologie vorhanden ist, wenn nicht klar ist, welche Effekte sich damit erzielen lassen. Dieses Thema greifen wir gerade in einem Projekt auf, an dem neben zwei StudiumPlus-Partnerunternehmen auch die Marburger Philipps-Universität beteiligt ist.

Genutzt wird KI auch für das Online-Marketing. Wie gläsern machen wir uns, wenn wir Suchmaschinen nutzen oder im Internet auf Einkaufstour gehen?

Es gibt Werbenetzwerke, denen unter anderem Google und Facebook angehören, die ganz genau wissen, wenn Sie sich irgendwo beispielsweise eine Hose angeguckt haben. In der Folge wird Ihnen diese Hose und auch jedes andere gesuchte Produkt in Form von Anzeigen hinterhergetragen. Schon 20 Merkmale reichen aus, um unser Verhalten sehr genau vorherzusagen. Beispielsweise unser Kaufverhalten oder auch unser Verhalten im Arbeitsleben. Wir alle sind sehr vorhersagbar aufgrund weniger Aktivitäten. Aber wie schlimm ist es, wenn wir gegenüber Amazon und Co. gläsern sind? Natürlich werden wir transparenter. Wir bezahlen eine höhere Bequemlichkeit damit, dass man mehr über uns weiß. Eine Lösung könnte sein, dass die Daten im Internet Allgemeineigentum werden, allgemein zugänglich und kontrollierbar sind.

Auch wenn Sie absehbar nicht an die starke Variante glauben, welches Potenzial schreiben sie der KI in Zukunft zu?

Laut Ray Kurzweil (Anm.: Pionier in der KI-Forschung) stehen uns schon in naher Zukunft Transhumanismus und Cyborgisierung bevor, das heißt, dass die KI so weit entwickelt sein wird, dass sie mit der menschlichen Intelligenz verschmilzt, indem die Menschen durch den Einbau von Chips verbessert werden. Ich dagegen gehe davon aus, dass die KI-Welle irgendwann wieder abebben wird. Danach wird etwas Neues kommen, ein neuer Hype. Aber sicher ist, dass sich bis dahin durch KI vieles geändert haben und KI völlig selbstverständlich genutzt wird. Ein hoch spannendes und zentrales Forschungsthema mit hoher Relevanz für Gesellschaft und Wirtschaft bleibt es allemal.

Wie sehr kann man der KI vertrauen?

Die Vertrauensfrage ist von zentraler Bedeutung. Erklärbarkeit wäre eine Möglichkeit, das Vertrauen in KI zu stärken: Wenn die KI erklärt, warum sie zu einem gewissen Schluss gekommen ist, würde das helfen, Fehler beispielsweise aufgrund ungeeigneter Trainingsdaten zu entdecken. Nehmen Sie das Beispiel des Navigationsgeräts, das sie ohne ersichtlichen Grund auffordert, von der Autobahn abzufahren. Wenn ich dazu die Erklärung erhalte, dass es einige Kilometer weiter einen Unfall und Stau gibt, würde ich dem Gerät eher vertrauen. Möglichen Missbrauch und Manipulation durch Hacker zu verhindern, ist dagegen ein Feld, auf dem noch viel geforscht werden muss.

Um rechtliche und ethische Aspekte geht es in Ihrer digitalen KI Vortragsreihe. Dabei werden sicherlich auch die Hürden beim autonomen Fahren eine Rolle spielen?

Natürlich, es wird aber unter anderem auch um die Frage gehen, ob Algorithmen diskriminieren. Bezüglich des autonomen Fahrens finde ich die ethische Diskussion eigentlich falsch. Wenn alle autonom fahren, wird es weniger Unfälle geben. Weil alle Unfälle aufgrund von überhöhter Geschwindigkeit oder unaufmerksamen Fahrern wegfallen. Schlimm wird die Zwischenzeit, wenn zunehmend autonom fahrende Autos auf nicht autonom fahrende treffen, weil der Mensch viel weniger berechenbar ist. Wir sollten nicht immer nur auf den Extremfall gucken. Es wird auch beim autonomen Fahren vermutlich einige schreckliche Unfälle geben, aber viel weniger als bisher.