Der gebürtige Gießener Sebastian Koelber ist gelernter Grundschullehrer und arbeitet heute in Leipzig. Er ist selbst leidenschaftlicher Kletterer und darum eng mit der Gießener Kletterszene verbunden. Einer seiner Freunde baute vor einigen Jahren in seinem WG-Zimmer eigene Trainingsgeräte. Weil es zu der Zeit noch keine Boulderhalle so wie heute in Gießen gab, selbstverständlich waren da die Anlagen des DAV, half sich der Freundeskreis selbst: Sie mieteten eine leerstehende Schlecker-Filiale und bauten dort die selbstgebauten Geräte auf, „das war für mich die Initialzündung auch selbst mit Holz als Baustoff zu experimentieren‟, blickt Sebastian auf die ersten Schritte zum Boulderwürfel zurück. So entstand die Idee, etwas ähnliches für Schüler:innen zu ermöglichen, „denn das ist mein Verständnis von wirklich gutem Projektunterricht. Wenn du so etwas mit den Kids machst, sind sie von Anfang an in den Prozess miteinbezogen und werden Teil davon‟.Weniger Wettkampf, mehr Freiraum Denn das Konzept des Boulderwürfels ist nicht nur auf die sportlichen Aspekte ausgelegt. Vielmehr geht es dem 40-jährigen Gründer darum, den Leistungsdruck, den Kinder oft schon im Grundschulalter spüren, zu minimieren. Unter Anleitung professioneller Handwerker:innen können die Kinder gemeinsam den Würfel selbst und kooperativ aufbauen – und gleichzeitig eine wertschätzende Kommunikationskultur erleben und lernen. „Außerdem soll Sportunterricht auch außerhalb der klassischen Sporthalle erlebt werden können, wo es auch mal ruhig und nicht trubelig zugehen kann. Der Boulderwürfel soll vor allem Spaß machen, ohne Wettkampfgedanken, und den Kindern die Möglichkeit geben, ihren Körper und Bewegung positiv zu erfahren‟, erklärt Sebastian sein pädagogische Konzept. Leistung ist für Sebastian per se nichts schlechtes, „aber die jungen Menschen sollen ihre Leistung und ihr Ziel selber definieren und durch direktes Ausprobieren erfahren‟.
Die ersten Boulderwürfel – made in Mittelhessen – halten Einzug auf Berliner Schulhöfen.
Ein hängender StadtratFür sein Referendariat ging Sebastian nach Berlin und konnte an seiner Neuköllner Ausbildungsschule 2017 das erste Pilotprojekt mit Schüler:innen von der ersten bis zehnten Klasse durchführen. „Da habe ich gemerkt, dass mein Konzept aufgeht. Die Kids haben zwei Tage geplant, gezeichnet, sogar gegraben und schließlich geschraubt und waren Feuer und Flamme. Und ich habe gesehen, mit welcher Freude die Kinder gewerkelt haben – und das ist schließlich auch ein Fokus des Projekts, Begeisterung für das Handwerk zu wecken.‟ Und als sich zur Einweihung selbst der Neuköllner Sportstadtrat im Anzug an den Boulderwürfel hing, „da wusste ich, dass der Boulderwürfel jetzt real ist‟, sagt er stolz. Produktentwicklung ist auch PersönlichkeitsentwicklungMit seinem neuen Produkt, was es in dieser Form auf dem Markt noch nicht gab, fiel Sebastian immer wieder durch gängige Kategorien, was besonders im Rahmen der Zertifizierung durch den TÜV-Süd spürbar wurde. Dieses „Nischendasein‟ nahm darum viel Zeit in Anspruch, „da bin ich vor allem über meine eigenen Ansprüche gestolpert, immer alles selbst machen zu wollen.‟ Heute, mit etwas Abstand, kann er diese Erfahrung als essentiellen Bestandteil seiner Persönlichkeitsentwicklung als Gründer annehmen, „viele Dinge sind bei einer Gründung einfach nicht planbar, besonders bei einer Neuentwicklung – das weiß ich heute.‟Was ihm also half, war die Erkenntnis, nicht alles selber machen zu müssen. „Ich habe gelernt sehr gründlich zu schauen wo ich mir selber Wissen aneignen kann oder wo es sinnvoll ist, zu delegieren. Gerade wenn man selber etwas neues entwickeln möchte, spart man sich viel Zeit und Nerven, wenn man sich im eigenen Netzwerk nach Expert:innen umschaut.‟Der TÜV und eine HochzeitUnd dieses Netzwerk half ihm vor allem bei der Detailentwicklung des Boulderwürfels. Ein Mitbewohner aus seiner Gießener WG war Geselle bei der Firma „Holzfreude‟ in Butzbach. Mit dem dortigen Geschäftsführer führte er viele Gespräche über das passende Holz und technische Details. Als es um die TÜV-Zertifizierung ging, fragte er den Tischler ob sie langfristig zusammenarbeiten wollen, „denn wenn dein Produkt vom TÜV abgenommen wird, ist man langfristiger Partner – das war wie eine Hochzeit‟, erzählt er lachend.Neben diesem Netzwerk stand ihm auch seine Familie mit Rat und Tat zur Seite. „Mein Vater hat früher als Ingenieur gearbeitet. Als es darum ging die TÜV-Zulassung zu bekommen, hat er mir das „Technikdeutsch‟ erklärt und hat immer wieder mit mir neue Angebote und Zeichnungen eingeholt,‟ erzählt er dankbar. „Die Kolleg:innen vom TÜV machen eine genaue und gründliche Arbeit, aber das dauert alles seine Zeit‟, erklärt er augenzwinkernd.
Unter Anleitung professioneller Handwerker bauen die Kinder die Würfel selbst auf und bespielen sie.
Anfang Juni will Sebastian in Neukölln, sofern es die Corona-Pandemie zulässt, eine neue Workshopserie rund um den Boulderwürfel starten. Dann erarbeiten professionelle Routen-Schrauber:innen mit den Lehrpersonen und den Schüler:innen den Umgang mit Griffen, Tritten und Schraubern. Außerdem will er vermehrt mit Elterninitiativen zusammenarbeiten, die bereits ihr Interesse am Boulderwürfel signalisiert haben und Boulderwürfel auch an ihren Schulen in Projektwochen bauen möchten. „Ich bin Vater, ein Familienmensch und fange nach einem Jahr Elternzeit eine halbe Stelle an einer Leipziger Schule an – das wird meine nächste persönliche Challenge.“ Und dafür wünschen wir Sebastian alles Gute!