Wie ein mittelhessisches Startup die Art und Weise verändert, wie wir Kredite abschließen und unsere Bankkonten verwalten. Reimann
Investors investiert 4,5 Millionen Euro in das mittelhessische Startup FinTecSystems. Das meldete vor einigen Wochen das Onlinemagazin Gründerszene. Die Nachricht rückte nicht nur die eher unauffällige Investoren-Familie
Reimann-Dubbers ins Licht, sondern vor allem auch das junge Fintech-Unternehmen, das mit seinen 30 Mitarbeitern neben seinem Hauptsitz in München auch
einen zentralen Standort in Linden (dort sitzt das Entwicklungsteam, Data Analytics und Marketing) und Hamburg hat. Geschäftsführer und Co-Founder Dirk Rudolf hat Gründe, warum er und Partner Stefan Krautkrämer in Mittelhessen bleiben. „Wissen
Werte Wissenschaft“ hat mit ihm über die Technologie gesprochen, mit der FinTecSystems den Online-Kreditantrag revolutioniert, und darüber, was das
Reimann-Investment für das Unternehmen bedeutet. Auch über die Startup-Szene in Mittelhessen hat der Gründer, der mit seinen Partnern zuvor bereits
Europas führendes Direktüberweisungsverfahren SOFORT Überweisung aufgebaut hatte, eine klare Meinung.
Schwarzer Pullover, graue Jeans und weiße Nike-Schuhe: Rudolf sitzt in einem Café unterhalb der FinTecSystems-Büros im Lindener Gewerbegebiet und nimmt
einen Schluck aus seiner Cappuccino-Tasse. „Wir sehen uns als Digitalisierungstreiber“, sagt der 37-Jährige. Vermutlich hatte der Entrepreneur diese
Mission bereits Anfang des Jahrtausends, als er Content-Plattformen wie people.de und referate.de und E-Commerce-Plattformen aufbaute. Richtig Fahrt
aufgenommen hat die Idee vom digitalen Leben aber mit dem Startup SOFORT, bei dem Rudolf von 2005 bis 2014, zuletzt als CIO (Chief Information Officer,
Leiter der Informationstechnik) tätig war. Mit dem Dienst SOFORT ÜBERWEISUNG können Kunden beim Online-Shopping seitdem unkompliziert mit ihrem regulären
Bankkonto bezahlen.
„Kreditantragsprozess“: ein Thema mit überraschend viel Pfiff
Seit 2014 hängen die Früchte für Rudolf allerdings höher und sie heißen „Kreditantragsprozess“. Die Geschichte dahinter hat mehr Pfiff als der etwas dröge
Name vermuten lässt, denn es geht um ein Thema, mit dem die meisten irgendwann einmal im Leben zu tun haben: Wie kann ich etwas kaufen, für das ich
das Geld noch nicht habe? Meistens betrifft das größere Anschaffungen wie Auto, Haus oder vielleicht auch den neuen Großbildfernseher. Seit 2014 können
sich Kunden online per Webcam authentifizieren und ebenso online ihre Unterschrift leisten, wenn sie dies per Kredit finanzieren möchten. Die BaFin,
das ist die Abkürzung für Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, hatte ihr Okay für diese
neuen digitalen Verfahren gegeben.
Allerdings mussten Kreditkunden bislang immer noch ihre Kontoauszüge ausdrucken, das Durchschnittseinkommen ermitteln, Kosten gegenüberstellen und das
ganze Paket anschließend an die Bank schicken – für die Bonitätsprüfung. „Du hast zwei von drei Sachen in Realtime gemacht – aber um wirklich eine
Auszahlung zu bekommen, musstest Du noch Papier einschicken“, sagt Rudolf. Diesen letzten Schritt hat FinTecSystems nun ebenfalls digitalisiert. Dafür
bieten die Macher aus Linden ihren Kunden – Kreditinstitute, Fintechs und Zahlungsabwickler – den Kontoinformationsdienst accourate zur Verfügung. Die Plattform ist das Kronjuwel im Technologieschatz von FinTecSystems; ein Zahlungsauslösungsdienst, wie ihn SOFORT anbietet, gehört
auch zum Produkt-Portfolio.
Wie accourate den Online-Autokauf vereinfacht
Wie accourate funktioniert, erklärt Rudolf auf seinem Smartphone am Beispiel der App AutoScout24:
Nachdem er sich ein Auto ausgesucht hat, gelangt er mit einem Klick zu einem Finanzierungsrechner. „Hier suchst du deine Rate aus und gibst deine Bankleitzahl
an.“ Der Kreditpartner von AutoScout24 ist die solarisBank – ein Kunde von FinTecSystems.
Nun müsste er nur noch die Zugangsdaten für sein Bankkonto eingegeben, dann würde die Software die Kontoauszüge online abholen, analysieren, nötige
Kenndaten berechnen und sie der solarisBank über eine Software-Schnittstelle für die Bonitätsbewertung zur Verfügung stellen. „So kann man einen Kredit
in fünf Minuten durchwinken.“ Oder auch nicht, denn auch die Kreditinstitute profitieren von accourate.
„Der Markt ist einfach riesig.“
Die Plattform arbeitet nicht nur schnell und einfach für den Kunden, sondern die Bank habe „auch den Vorteil, dass sie keine manipulierten Bankauszüge
zugeschickt bekommt – was wohl recht häufig vorkommt“, wie Rudolf erzählt. Klar, dass die Tech-Branche einen Boom wittert; „Der Markt ist einfach riesig
in Deutschland; es gibt tausende von Banken“, sagt er. Grund genug für die BaFin, Kontoinformationsdienste ab 2018 zu regulieren. Für FinTecSystems
ist das eine gute Nachricht: „Uns hilft die Regulierung massiv, denn wir sind bereits etabliert.“ Das Unternehmen ist in Deutschland, Österreich und
Spanien präsent; die Expansion in weitere europäische Länder ist auf dem Weg. Dabei hilft das Millionen-Engagement von Reimann Investors: „Es verschafft
uns Zeit“, erklärt Rudolf. „Wir können mehr in die Produkte reingehen, die Wertschöpfung vertiefen, unser Personal ausbauen.“ Neben Reimann zählen
übrigens Ventech aus Paris und der Risikokapitalgeber Littlerock von Noel Zeh zu den Investoren. Zeh engagiert sich gerne in der mittelhessischen Startup-Szene,
unter anderem auch bei GraphCMS.
Startup-Szene Mittelhessen: „Es gibt noch mehr Potential.“
Warum aber in Mittelhessen bleiben, wenn doch die meisten Kunden in der Finanzmetropole Frankfurt sitzen? „Weil viele der Mitarbeiter, die wir heute haben,
aus der Region kommen“, antwortet Rudolf. Und die würden nur ungerne auf der A5 oder mit der Bahn ins Rheinmaingebiet pendeln. Und: „Wir haben uns
hier im IT-Bereich ein Netzwerk aufgebaut, von dem wir profitieren.“ Auch die Loyalität der Mitarbeiter spielt eine Rolle: „Es ist zwar hier schwieriger,
Leute zu finden. Aber wenn du sie mal gefunden hast, dann bleiben sie auch“ – ganz im Gegensatz zur „klassischen“ Startup-Szene in Berlin mit ihrer
berüchtigt hohen Fluktuation, wie Rudolf anmerkt.
„Klassische“ IT-Startups wie FinTecSystems gebe es nicht viele in Mittelhessen, sagt Rudolf. Als Business Angel hilft er neue Gründern, zum Beispiel den
Machern von GraphCMS, die zurzeit mit einem Content Management System der nächsten Generation im Web Erfolge feiern. Aber: Die Region könne eigentlich
mehr: „Ich vermisse größere Formate. Da steckt noch mehr Potential drin“, glaubt Rudolf und nennt ein Beispiel: „Es gibt viele lokale Angebote. Die
Netzwerke müssten aber aus meiner Sicht größer angelegt werden.“ Er würde es besser finden, im Quartal lediglich ein oder zwei größere, gemeinsame
Events auszurichten. „Man müsste einen Weg finden, alle an einen Tisch zu bekommen. Ein positives Beispiel ist für ihn der „Startup Melt Mittelhessen“ bei dem der Organisationsberater Martin Lacroix erfolgreiche Gründer zu Kamingesprächen einlädt – zum
Beispiel im vergangenen November den Gründer der Mitfahr-App flinc. Oder auch der Webmontag von Sven Herchenhein und Prof. Dominikus Herzberg. Aus solchen Formaten könnten Gründer viel mehr wichtige Information
ziehen. „So holt man dann auch mehr IT-Startups in die Region.“