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TeamMit Talk – Prof. Dr. Michael Stephan im Interview

teammit Gepostet von teammit in TeamMit News 10 min. Lesezeit

Prof. Dr. Michael Stephan ist Inhaber der BWL Professur Technologie- und Innovationsmanagement an der Philipps-Universität Marburg und Mitinitiator von TeamMit. Im Interview erläutert er, womit er und sein Team sich beschäftigen, was Unternehmen davon haben und wie der Blick über den Tellerrand Mittelhessen voranbringen kann.

Prof. Dr. Michael StephanHerr Stephan, Sie bearbeiten den Schwerpunkt Benchmarking bei TeamMit. Was ist darunter zu verstehen?

Benchmarking ist ein Vergleichsinstrument der Wettbewerbsanalyse. Ziel ist, über einen gezielten Vergleich die eigene Position, d.h. Stärken und Schwächen zu verstehen und Schlüsse für die eigene Entwicklung ableiten zu können. Für das Transformationsnetzwerk TeamMit bedeutet das zu schauen, in welchen Branchen und Regionen Transformationen stattfinden oder bereits erfolgreich stattgefunden haben.

Womit vergleichen Sie die Situation der Automobilzulieferer in Mittelhessen?

Wir betreiben zwei Arten von Benchmarking. Beim internen Benchmarking betrachten wir die Entwicklungen eines ähnlichen Branchenclusters in einer anderen Region. Hier haben wir die Region Mittlerer Neckar als klassische Automobilregion ausgewählt. Durch die hohe OEM-Dichte und die enge Anbindung der Tier1, 2 und 3 Zulieferer erwarten wir dort einen sehr hohen Transformationsdruck. Wir gehen deshalb davon aus, dass Transformationsprozesse dort früher und intensiver eingesetzt haben als in Mittelhessen und erwarten dementsprechend, dort bereits erste Ergebnisse sehen zu können. Für das zweite, externe Benchmarking haben wir die Optik-Industrie ausgewählt. Diese hat schon vor einigen Jahren eine tiefgreifende Transformation im Bereich der Digitalisierung begonnen. Wir betrachten diesen Prozess und leiten Erkenntnisse daraus ab. Ein erfreulicher Nebeneffekt ist dabei, dass die Optik-Industrie in Mittelhessen, insbesondere in und um Wetzlar, sehr stark präsent ist und es viele Schnittstellen mit dem Automotive-Bereich gibt.

Was vergleichen Sie auf welcher Grundlage?

Für das Projekt führen wir auf der einen Seite sehr viele Experteninterviews und nutzen natürlich auch alle Informationen, die wir von unseren TeamMit Partnern erhalten. Auf der anderen Seite betreiben wir an unserem BWL-Institut seit vielen Jahren intensiv Forschung zur Transformation in der Automobilindustrie. Allein in den letzten zehn Jahren habe ich sieben Promotionen und fast zwei Dutzend Master-Arbeiten zu dem Thema betreut. Ich kann also sagen, dass wir einen sehr guten Branchenüberblick haben. Wir betrachten das Thema der Transformation natürlich nicht nur aus lokaler Sicht, sondern auch aus einer Vogelperspektive und vergleichen beispielsweise Trends und Entwicklungen in Asien oder Nordamerika mit der Situation in Deutschland und Mittelhessen.

Wie können Unternehmen von Ihrer Arbeit profitieren?

Wir betreiben keine Wissenschaft im Elfenbeinturm, sondern bieten ganz konkrete Hilfestellungen und Services für Unternehmen. Viele der Promotionen und Masterarbeiten entstehen tatsächlich in Kooperation mit Partnern aus der Automobilindustrie. Und wenn ein Unternehmen Fragen zu einem konkreten Thema im Innovationsmanagement hat, schauen wir, welches Wissen wir dazu bereits haben und stellen es zur Verfügung. Dabei nutzen wir auch unser großes Netzwerk im Automotive-Bereich. Will beispielsweise ein Karosseriebauer wissen, wie er die Digitalisierung in seinem Unternehmen vorantreiben kann, kennen wir vielleicht ein ähnlich aufgestelltes Unternehmen, das schon einen Schritt weiter ist. Dann stellen wir einen direkten Kontakt her. Darüber hinaus geht es uns natürlich darum, die Ergebnisse des Benchmarkings zu verstehen und auf die Situation der heimischen Wirtschaft zu übertragen. Hierfür arbeiten wir an einer Gesamtstrategie für die Region und geben konkrete Empfehlungen ab.

Wo stehen Sie mit Ihrer Arbeit aktuell?

Wir haben zunächst verschiedene Cluster für das Benchmarking sondiert und auf ihre Eignung für unsere Zwecke hin geprüft. Anschließend haben wir Kontakt zu Clustern und Unternehmen aufgenommen und erste direkte Gespräche geführt. Diese werden wir weiter vertiefen, so dass wir gegen Ende des Jahres konkrete Ergebnisse haben werden. Anschließend überprüfen wir diese in Abstimmung mit den TeamMit Partnern dahingehend, wie bzw. inwieweit die Ergebnisse auf Mittelhessen übertragbar sind und wie sie in einer Gesamtstrategie verankert werden können. Ein weiteres Arbeitsfeld ist in dem Zusammenhang auch die Frage, wie wir das entstehende Cluster dauerhaft in der Region verankern – verstetigen – können.

Mit welchen Ergebnissen rechnen Sie konkret?

Zum einen werden wir Aussagen zu innovativen Produkten bzw. Technologien und zu sinnvollen neuen Geschäftsmodellen treffen können. Dann werden wir beispielsweise etwas dazu sagen können, zu welchem Zeitpunkt eine Umstellung in die eine oder andere Richtung für Unternehmen sinnvoll sein kann und in welcher Form sie stattfinden sollte – radikal oder fließend? Integriert ins Gesamtunternehmen oder separiert vom Tagesgeschäft? Mit neuen oder mit Bestandskunden? Das sind alles höchst relevante Fragen, wofür viele Unternehmer, die das Tagesgeschäft bewältigen müssen, oft nicht den Kopf und die Zeit haben. Dazu fehlen gerade im Mittelstand oft die Kapazitäten, die Märkte weltweit zu überblicken. Auch dafür sind wir da und geben gerne konkrete Empfehlungen ab.

Wie wichtig ist das Thema Digitalisierung bei der Transformation?

Enorm wichtig. Sagen wir mal so: Die Umstellung von klassischen Verbrennern auf batteriebetriebene Fahrzeuge ist einen vergleichsweise gut planbare Transformationsleistung. Hier ist zu schauen, welche Komponenten sich an einem Fahrzeug wie verändern und wer diese wie produzieren kann. Das Thema Digitalisierung ist mit deutlich größeren Unsicherheiten und Untiefen behaftet und betrifft letztlich alle Prozessschritte von der Produktentwicklung bis zur Qualitätssicherung, von der Materialbestellung bis zur Auftragsabwicklung und von der Produktion bis zur Buchhaltung. Viele digitale Technologien sind derzeit aber noch in einem recht frühen Entwicklungsstadium, denken Sie an KI, Deep Learning oder Digitale Zwillinge, hier ist derzeit noch gar nicht so richtig absehbar, in welche Richtung sich diese Technologien entwickeln werden.

Wie schätzen sie die Erfolgschancen der Transformation in Mittelhessen – auch im internationalen Vergleich -ein?

Wir wissen, dass die Transformation eine große Aufgabe ist, vor der manche Unternehmer zu Recht viel Respekt haben. Hinzu kommt das deutsche Spezifikum zu glauben, dass alle anderen Automobilregionen auf der Welt schneller, besser, und effizienter transformieren. Das ist aus unserer Sicht so falsch. Wenn man beispielsweise Parameter wie Patentanmeldungen in bestimmten Bereichen vergleicht, liegen wir in Deutschland – und in Mittelhessen – eigentlich ganz gut im Rennen. Insofern sollten wir hier durchaus etwas selbstbewusster und positiver auftreten. Die Automotive Region Mittelhessen hat hervorragende Chancen, die sie erkennen und nutzen muss. Und wir wollen sie dabei unterstützen.

Herr Stephan, vielen Dank für das Gespräch

Foto: Regionalmanagement Mittelhessen / Tilmann Lochmüller