Das Netzwerk Wirtschaft im mittelhessischen Regionalmanagement sucht im Vorfeld der Bundestagswahl das Gespräch mit der Politik: Rund 70 Mitglieder des Netzwerks haben sich am Mittwoch vergangener Woche in Gießen getroffen, um über die unterschiedlichen Perspektiven auf die Region Mittelhessen zu sprechen – jeweils auf der Sicht von vier Unternehmerinnen und Unternehmern sowie vier Direkt-Kandidaten für die Wahl zum Bundestag im September. Im Forum der Volksbank Mittelhessen formulierte die Unternehmer-Seite dabei klare Forderungen an die Politik.
In den Diskussionsrunden ging es neben einer allgemeinen Einschätzung der mittelhessischen Region auch um die Bedeutung überregionaler Themen für den Standort: Dazu zählten die Auswirkungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) auf die Industrie, die Debatte um Diesel-Fahrzeuge, Bildungspolitik sowie den Mangel an Fachkräften und den Bedingungen für Unternehmensgründer.
Sabine Fremerey-Warnecke, Geschäftsführerin der Firma Auto-Müller, beklagte vor allem zu hohe Steuern und Abgaben: „Der Mittelstand blutet aus.“ Karl-Peter Johann von Johann Consult mahnte Änderungen beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) an: „Die heimische Schwerindustrie braucht planerische Sicherheit“, sagte der Unternehmensberater, der vor allem die hohen Strompreise im Vergleich zu anderen europäischen Ländern kritisierte. Um Elektrizität ging es auch in einem anderen Zusammenhang: Während die Förderung von Elektromobilität kaum Resultate zeige, herrsche große Unsicherheit bei Dieselfahrzeugen angesichts der Debatte um Fahrverbote in den Städten, sagte Fremerey-Warnecke. „Für viele Handwerker sind diese Autos aber wichtiges Handwerkszeug.“
Für Mark Pralle, Geschäftsführer der App-Schmiede Fabrik19, ging es im Gespräch auf der Volksbank-Bühne unter der Moderation von Volksbank-Generalbevollmächtigter Dr. Lars Witteck darum, wie Gründergeist gefördert werden kann: Als Firmengründer habe er es bei der Suche nach Fachkräften in Frankfurt einfacher gehabt, berichtete Pralle. „Wir müssen mehr zeigen, was wir in Mittelhessen haben“, betonte er – insbesondere bei Technologien und Arbeitgebern. Klaus Rohletter, Geschäftsführer der Bauunternehmung Albert Weil AG und Vorsitzender des Netzwerks Wirtschaft, lag die Erhaltung der Innenstädte am Herzen: Hier seien Investitionserleichterungen nötig, um Wohnraum und Geschäftsräume zu fördern. „Es lohnt sich langfristig, in Ortskerne zu investieren.“
Die Politikrunde mit Bundestagskandidaten von Bündnis90/Die Grünen, CDU, FDP und SPD unter der Moderation des Mittelhessen-Vereinsvorsitzenden und Gießener Regierunspräsidenten Dr. Christoph Ullrich hatte zunächst vor allem Positives zum Standort Mittelhessen zu sagen: Deren Kennzeichen sei „die Vielfalt aus Stadt und Land“, sagte Eva Goldbach von den Bündnisgrünen. Die Region sei geprägt von innovativen Betrieben, die den Strukturwandel bewältigt hätten und daher krisenfest seien, ergänzte der Gießener SPD-Unterbezirksvorsitzende Matthias Körner. FDP-Urgestein Dr. Hermann Otto Solms lobte die zentrale Lage und gute Verkehrsanbindung, machte aber insbesondere deutlich, dass Infrastruktur auch in den ländlichen Gebieten gefördert werden müsse, um Landflucht zu vermeiden.
In der Diskussion um den Ausgleich von Umweltschutz, Arbeitnehmer-Interessen und Wirtschaft steht für den CDU-Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch vor allem der Abbau von Bürokratie auf dem Wunschzettel. Angesicht von Rekord-Steuereinnahmen sei es nun wichtig, „das Geld bei den Menschen zu lassen“ – und zwar durch Investitionen und Steuererleichterungen. Auch Körner war der Ansicht: „Ohne Kaufkraft in der Bevölkerung kommen Sie nicht voran.“ Goldbach verteidigte das Erneuerbare-Energien-Gesetz zwar als notwendig, um Anreize zu setzen, forderte aber auch eine Weiterentwicklung in Form eines Fonds oder einer CO2-Umlage.
In der abschließenden Frage-Runde ging es dann auch um Bildungspolitik. So kritisierte Sabine Fremerey-Warnecke den Schulplan ihres Nachwuchses: „Die Digitalisierung findet dort nicht statt.“ Auch Matthias Körner wünscht sich mehr technische Grundlagenbildung an den Schulen, während Hermann Otto Solms vor allem die Möglichkeiten nach der Ausbildung ansprach: Wichtig für den Hochschulstandort sei es auch, junge Gründer zu fördern. Solms warb daher für ein Modell, bei dem alle beteiligten Institutionen zusammenarbeiten, um Gründungen zu erleichtern. „Das ist Potenzial, was nichts kostet.“ Auch CDU-Kandidat Wilsch stimmte dem zu: „Wir brauchen Lust auf Selbstständigkeit.“