„New Economy“ trifft „Old Economy“: Eine gemeinsame Veranstaltung mit der Startup-Initiative Webmontag Gießen hat das Netzwerk Wirtschaft im Regionalmanagement Mittelhessen in der vergangenen Woche zum Anlass genommen, zum Ausklang des Jahres über digitale Geschäftsmodelle zu sprechen. Bei ab Idee ok!, dem Gründerzentrum der Johannes Hübner Fabrik elektrischer Maschinen GmbH, trafen sich über 50 Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen und Institutionen, um etwas über Beispiele aus der Praxis zu erfahren: Zu den Referenten gehörten Sven Herchenhein (efec AG), Dimitri Gärtner (Framen GmbH), Hamedo Ayadi (Intelligent Data Analytics GmbH & Co. KG) und Holger W. Dietz (Janitza electronics GmbH).
Die Liste der Vortragenden nach der Begrüßung durch den Netzwerk-Vorsitzenden Klaus Rohletter war nicht ohne Grund in „Startup“, „Grownup“ und „etabliertes Unternehmen“ gegliedert. „Lernen, lernen, lernen“, definierte Sven Herchenhein das Mantra auf dem Weg vom Starter zum arrivierten Player. Herchenhein, der mit seinem eigenen Unternehmen für mobile Anwendungen und Event-Lösungen efec aus eigener Erfahrung spricht, ist einer der Initiatoren des Webmontags Gießen. Der Webmontag veranstaltet nicht nur regelmäßige Treffen mit Referenten aller Coloeur, sondern organisiert auch Weiterbildungen und legt eigene Podcasts auf. Herchenheins Vortrag machte deutlich, was Startups eigentlich ausmachen: Sie fangen mit einem minimalen Produkt an, testen den Markt, bleiben dabei beweglich, wachsen schnell auf der Grundlage von Daten, optimieren ihre Wertschöpfungskette und sind geschickt auf dem Feld der Aufmerksamkeitsökonomie. Damit all dies Blüten tragen kann, bedürfe es allerdings auch Wagniskapital: „Da muss mehr passieren“ in Mittelhessen, sagte Herchenhein.
Davon kann auch Dimitri Gärtner aus eigener Erfahrung berichten: Der Co-Founder der Framen GmbH, die Services sowie Hard- und Software bereitstellen, um Fotografien auf Bildschirme aller Art zu streamen, hatte zu Beginn Kapital über eine Crowdfunding-Kampagne gesammelt, um einen ersten Prototypen zu bauen. „Wir könnten schneller wachsen“, sagte Gärtner jetzt, mit einem funktionierenden Produkt. Aber: Kapitalgeber verstünden oft das eigentliche Potenzial der Geschäftsidee nicht. Ramen produziert einerseits Apps und eine Cloud-Anwendung, um bequem Bilder von Trägern wie Smartphones oder Tablets auf beliebige Online-Geräte zu streamen. Andererseits stellt das Unternehmen auch einen TV-Stick her, mit dem jeder Flachbildschirm einen Foto-Stream empfangen kann. Interessant sei das nicht nur für Privatleute, die Ihre Urlaubsbilder der Familie bereitstellen wollen, sondern auch für Geschäftsleute, die so ansonsten ungenutzte Bildschirme für aktuelle Werbe-Informationen nutzen könnten.
Ein Beispiel für ein „Grownup“ in der Unternehmenswelt ist die Intelligent Data Analytics GmbH & Co. KG (iDA), die Betrieben mit Hilfe von „Big Data“ unter anderem Lösungen bei der Analyse von Daten und Digitalisierung von Abläufen bietet: Gründer und Vorstand Hamedo Ayadi berichtete, wie iDA, gegründet 2017 in Marburg, die vorhandenen Daten in einem Unternehmen zunächst standardisiert und dann analysiert, um Zusammenhänge zu erkennen und die Wertschöpfung zu optimieren. „Nur durchschnittlich drei Prozent der betrieblichen Daten werden analysiert“, zitierte Ayadi eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Der studierte Wirtschaftspsychologe gab den Teilnehmern eine weitere Erfahrung mit auf den Weg: Neben der Informationstechnologie im Unternehmen müssten auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „transformiert“, also mitgenommen werden. Und: „Firmen, die nicht transformieren, werden auf der Strecke bleiben.“
Holger W. Dietz von der Janitza electronics GmbH, einem Spezialisten für Energiemanagement- und messgeräte, vertrat bei diesem Webmontag die Kategorie der „etablierten Unternehmen“; der Betrieb mit Sitz in Lahnau kann seine Wurzeln bis in die 60er-Jahre zurückführen. Dietz sprach vor allem über Digitalisierung in Verbindung mit der Integration von Wertschöpfungsketten und so genannten Smart Products. Bei der allgemein als „Industrie 4.0“ bezeichneten aktuellen Evolutionsstufe der industriellen Entwicklung sei man in „anderen Teilen der Welt schon wesentlich weiter“, sagte er. „Abwarten und Teetrinken“ sei daher die falsche Strategie – auch wenn noch nicht alle Standards definiert seien. Denn: „Riesen wie Amazon und Google“ setzten in der Zwischenzeit eigene Standards „ohne zu fragen“. Sein Fazit: Wichtig seien vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten vor allem die „Auswirkungen auf das Geschäftsmodell“. So werde künftig mehr Nutzen und Leistung im Vordergrund stehen als die Herstellung und der Verkauf von Produkten.
Jens Ihle, Geschäftsführer des Regionalmanagements Mittelhessen, rief in seinem Schlusswort dazu auf, sich vom Denken in Kategorien zu verabschieden. „Das ist ein ‚Mindset‘ von gestern.“ Ein Format wie die gemeinsame Veranstaltung des Netzwerks Wirtschaft mit dem Webmontag Gießen, bei dem Vertreter aus allen Bereichen zusammenkämen, sei dabei der richtige Anfang.