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Interview mit Boris Hedde zur 1.
Regionalen Immobilien-Expo Mittelhessen

Die Expo Real in München findet dieses Jahr nicht wie gewohnt statt, sondern als Hybrid-Version. Es wird keinen mittelhessischen Gemeinschaftsstand geben. Doch gerade in schwierigen Zeiten ist der Austausch mit der Branche besonders wichtig. Daher hat das Regionalmanagement in Kooperation mit der Hessen Trade & Invest die „Regionale Immobilien Expo Mittelhessen“ (riem) ins Leben gerufen. Die riem findet am 20. Oktober 2020 in Wetzlar statt und bietet eine Plattform für Projekte, Investitionen und Finanzierungen. Neben einer Diskussion über die Auswirkungen der Corona-Krise gibt es zwei Foren zum Thema "Entwicklung von Einzelhandels- und Bürostandorten in Innenstädten" und "Neue Ansprüche an Gewerbeflächen" mit namhaften Experten (u.a. Drees & Sommer und IFH Köln, Vitra).

Wir haben mit Boris Hedde über die aktuellen Herausforderungen von Innenstädten und Einzelhandels-/Bürostandorten gesprochen, hauptamtlich Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung Köln GmbH sowie Mitinitiator der kommunal orientierten Netzwerkplattform www.die-stadtretter.de. Daüber hinaus, leitete er federführend das Projekt Dialogplattform Einzelhandel des Bundeswirtschaftsministerium.

RMG: In welchem Zustand befinden sich zurzeit unsere Innenstädte? Nach der (Teil-)Schließung des Einzelhandels durch die Corona-Pandemie und dem vermehrten Einzug des Home Offices.

Hedde: Innenstädte stehen inmitten eines großes Veränderungsdrucks. Dieser wird durch drei Tsunamis befeuert, welche sich aktuell gegenseitig potenzieren: a) Strukturwandel, b) Digitalisierung und c) COVID 19. Erhielt die Attraktivität der Innenstädte in Deutschland aus Besuchersicht schon in 2016 und in 2018 nur die Schulnote 3+, so ist zu erwarten, dass seither keine Verbesserung aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger empfunden wird – mit allen Konsequenzen: Frequenzrückgang, Verlust von Aufenthaltsqualität und rückläufiger Identifikation mit dem jeweiligen Standort.

RMG: Mittelhessen ist besonders durch Mittel- und Kleinstädte geprägt. Gibt es hier Unterschiede zwischen den Mittel-/Kleinstädten und Metropolen?

Hedde: Grundsätzlich ist aus unseren Analysen VITALE INNENSTADT 2016 und 2018 abzuleiten, dass die Themen Ambiente und  Flair sowie das Einzelhandelsangebot die beiden Toptreiber für die Gesamtattraktivität sind. Je nach Ortsgrößen gibt es bei den Clustern Erlebnis und Convenience Unterschiede in puncto der Einzelmaßnahmen. Mit der Größe der Stadt steigt z. B. die Bedeutung des Gastronomieangebots. In kleinen Standorten hingegen ist es leichter mit Events zu punkten.

RMG: Der stationäre Einzelhandel stand schon vor dem Lockdown durch die Corona-Pandemie unter Druck (Stichwort e-Commerce, Schließung Kaufhof/Karstadt-Standorte). Gleichzeitig haben viele Menschen während des Lockdowns gemerkt, wie wichtig ihnen ihre Innenstädte sind und haben ihre Solidarität mit lokalen Geschäften gezeigt (z.B. durch Gutscheine-Aktionen). Bekommt der lokale stationäre Einzelhandel durch Corona eine neue Chance oder beschleunigt Corona den Prozess der Verödung der Innenstädte?

Hedde: Der Strukturwandel ist voll im Gange. Auch ohne Corona prognostizierten wir als IFH KÖLN für den Handel rückläufige Entwicklungen bei der Zahl der lokalen Anbieter. COVID 19 beschleunigt diesen Prozess in starkem Maße. Geschäftsmodelle der Vergangenheit passen nicht mehr, produktorientierte Kompetenz ist kein Abgrenzungsmerkmal und die Anspruchshaltung der Konsument*innen ist im Verlauf in Richtung Bequemlichkeit enorm gestiegen. All dies zwingt dazu, den Neustart-Knopf zu drücken und ein neues Kundenverständnis zu entwickeln. Hierbei tun sich viele lokale Akteure bisher schwer. Ob die Zukunft erfolgreich wird oder ob mit einer voranschreitenden Verödung zur rechnen ist, wird sehr vom Standort und davon abhängen, wie gut die Kundenzentrierung gelebt wird – im einzelnen Unternehmen und im gesamten Umfeld.

RMG: Wie werden sich die Innenstädte jetzt verändern?

Hedde: Zunächst gilt es notwendige Strukturen aufzubauen, die lokal eine gemeinsame Bearbeitung von Themen ermöglicht – akteursübergreifend und im Zusammenspiel mit der Stadt. Dann ist je nach Standort zu prüfen, welche Communities wie ausgeprägt und lebendig sind. Deren Erwartungen sind zu evaluieren, um dann konzeptionell und transformativ Innenstadt aktiv umzugestalten. Digitalisierung wird eine große Bedeutung erhalten und damit verbunden auch die Nutzung vor Ort generierter Daten. Aus einer passiven Stadtentwicklung wird eine aktive. Aus einer angebotsorientierten Maxime eine nachfrage- bzw. besucherorientierte. In Summe wird Handel ein Teilbereich von vielen werden und die Interdisziplinarität strukturgebend. Wohnen, Arbeiten, Bildung und Freizeit werden stärker verzahnt und der soziale, partizipative Aspekt von Innenstadt rückt stärker in den Fokus.   

Vielen Dank für das Gespräch. Wir freuen, das IFH Köln stellvertretend durch Dr. Markus Preißner (wissenschaftlicher Leiter) als Keynote-Speaker auf der riem am 20. Otkober 2020 in Wetzlar begrüßen zu dürfen.