Angesichts Energiekrise, Lieferketten-Problemen und Krieg in der Ukraine ist die Realität auch in der mittelhessischen Wirtschaft zurzeit von großen Herausforderungen geprägt. Im Kontrast zu dieser aktuellen Wirklichkeit standen beim Treffen des Netzwerks Wirtschaft im Regionalmanagement Mittelhessen am Dienstag virtuelle Wirklichkeiten im Mittelstand und der Blick auf den Wandel in einem traditionellen Handwerk im Mittelpunkt. Die Veranstaltung „Bäckerhandwerk 2.0 trifft Virtual Reality“ beim Familienunternehmen Schäfer Dein Bäcker GmbH in Limburg, einer der größten Bäckereien in Deutschland, bot Einblicke in die Technologien der virtuellen Realität und die Wirklichkeit der Digitalisierung im Mittelstand.
Zunächst lenkte Monika Sommer, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Limburg, im Gespräch mit Sabine Fremerey-Warnecke, Vorsitzende des Netzwerks Wirtschaft, einen ernsten Blick auf die Situation der Betriebe in der Region: „Große Unsicherheiten“ sehe sie bei ihren Mitgliedern, vor allem durch die Lage bei der Energieversorgung. Auch nach der Ankündigung von Hilfen durch die Bundesregierung „hält sich die Euphorie in Grenzen“. Die Rolle der IHK sieht Sommer darin, auf Rahmenbedingungen hinzuwirken, die Auswirkungen auf die Produktion so gering wie möglich halten. Obwohl die wirtschaftlichen Akteure in Mittelhessen weiter „positiv nach vorne schauen“, sei die Stimmung deutliche verhaltener, als es noch in der Corona-Krise der Fall gewesen sei.
„Die nächsten 14 Tage werden spannend“, sagte Stefan Füll, Präsident der Handwerkskammer Wiesbaden; viel wisse man noch nicht über die Programme, mit denen die Regierung die Krise eingrenzen will, zum Beispiel welche Einsparungen genau erzielt werden müssen, um Nutznießer der geplanten Förderungen zu werden. „Wir brauchen schnell Informationen“, appellierte Sabine Fremerey-Warnecke an den anwesenden Gießener Regierungspräsidenten und Vorsitzenden des Vereins Mittelhessen, Dr. Christoph Ullrich. Für Handwerksbetriebe, zum Beispiel in den Bereichen Heizung und Solar, seien die Energiekosten allerdings „auch ein kleiner Konjunkturmotor“, sagte der Handwerkspräsident. Das Thema Inflation werden jedoch eine Rolle spiele, „darauf müssen wir uns einstellen“, sagte Füll. „Die nächsten Jahre werden nicht so gut wie die vergangenen.“
Einen optimistischen Blick auf die Zukunft riskiert der Facebook-Konzern Meta mit seiner Metaverse-Initiative, wie Thomas Winzer von der Marburger Inosoft AG in seinem Impulsvortrag beschrieb. Laut Winzer wolle der Social-Media-Gigant einen digitaler Raum schaffen, „der durch das Zusammenwirken virtueller, erweiterter und physischer Realitäten entstehe“. Die verschiedenen „Handlungsräume des Internets“ solle so zu einer Wirklichkeit vereinigt werden. Das, was Meta in seinen Werbe-Clips verspricht, sei jedoch zurzeit technisch „nicht ansatzweise“ realisierbar, betonte der Experte. Dennoch erwartet Winzer für die nächsten Jahren einen Durchbruch in diesem Bereich, warnte aber vor der Konzentration von Hardware, Software und Daten bei einem Unternehmen, wie dies bei Meta der Fall wäre.
Wie diese digitale Revolution aussehen kann, demonstrierte der Inosoft-Gründer mit Hardware, die in den Bereichen Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) bereits zum Einsatz kommt. AR-Geräte wie Microsofts Hololens böten sich an, wenn „Informationen angereicht werden müssen“. Dabei werden die digitalen Objekte über das Sichtfeld des Nutzers gelegt. Neben teuren Lösungen wie Hololens funktioniere das in einfacherer Form auch mit Smartphones, zum Beispiel wenn Techniker komplexe Maschinen warten und den visuellen Eindruck vor Ort mit Informationen aus dem Netz ergänzen – eine Herangehensweise, die Inosoft mit einem eigenen Portal unterstützt.
Datenbrillen wie jene, die auch Meta anbietet, versetzen den Nutzer dagegen komplett in eine virtuelle Welt – zum Beispiel, um frühzeitig Mitarbeitern in Unternehmen für die Arbeitsumgebung in einer Produktionsanlage zu trainieren, die sich noch im Bau befindet. Als weiteres Beispiel zeigte Winzer eine digitale Rekonstruktion einer mittelalterlichen Synagoge, die Inosoft der Stadt Marburg zu ihrem 800-jährigen Jubiläum geschenkt hatte und die man nun per Datenbrille virtuell erkunden kann. Dem Mittelstand in der Region empfahl Thomas Winzer, Erfahrungen mit der neuen Technologie zu sammeln und dabei auch das Scheitern in Kauf zu nehmen. „Wichtig ist das Anfangen.“
Beim Rundgang durch die Betriebsanlagen des Gastgebers, der Schäfer Dein Bäcker GmbH, erfuhren die Teilnehmer:innen des Netzwerktreffen, wie eine der größten regionalen Backstuben den Spagat zwischen Handwerksbetrieb und Unternehmen mit über 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr, 1500 Mitarbeitern und 150 Filialen schafft: Während alle Zutaten nach überlieferten Rezepten von den Mitarbeiter:innen per Hand abgewogen, die Brote von Hand rund gemacht werden, sind Logistik, die großen Öfen und Kühlhäuser in der 14.000-Quadratmeter-Großbäckerei digital optimiert und gesteuert. Gebacken wird aber, „wie zu Großvaters Zeiten auf der Steinplatte“, betonte Firmenchef Johannes Schäfer. Die Gäste des Netzwerks waren von der Produktion und dem Unternehmergeist der Bäcker-Familie Schäfer begeistert.